Unglückliche Aufklärung:Alles Porno

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"Der Orgasmus, den man beim Porno schauen bekommt, ist größer, als ein Orgasmus mit einem realen Sexpartner", führt die Referentin bei ihrem Vortrag beim Brucker Frauennotruf aus. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Fürstenfeldbrucker Frauennotruf will über "Internetsexsucht" aufklären. Doch ein Vortrag schließt Männer aus und findet nur vier Zuhörerinnen. Zudem kann die Referentin das vermeintliche Tabuthema auch nur wenig erhellen

Von Linda Zahlhaas, Fürstenfeldbruck

Eigentlich sollte es an diesem Abend um Pornosucht gehen. Doch zum Thema ist die Referentin erst gegen Ende ihres Vortrages gekommen. Hauptsächlich ging es um die negativen Seiten der Pornoindustrie an sich. "Was meinen Sie, wie viele Pornoseiten gibt es im Internet", fragt die Referentin zu Beginn in die kleine Runde. Vor ihr sitzen vier interessierte Damen in einem Stuhlkreis zusammen. Sie möchten mehr darüber erfahren, was im Gehirn beim Ansehen eines Pornos passiert, welche Symptome bei einer Pornosucht auftreten können und wie eine Internetsexsucht therapiert werden kann. Der Frauennotruf hatte zu dem Thema "Alles Porno? - Internetsexsucht" geladen, einem "heiklen Thema", wie die Referentin selbst sagt. Männer konnte sie jedoch nicht erreichen, denn die Weiberkram-Reihe ist nur Frauen vorbehalten.

Insgesamt gäbe es circa 4,2 Millionen Internet-Pornoseiten. "Diese Seiten vermerken mehr Zugriffe als Amazon, Netflix und Instagram zusammen", erklärt die Referentin. Das sei ja erschütternd, raunt einer der anwesenden Damen und schüttelt entrüstet den Kopf. "Werden Pornos denn nicht mehr in Videotheken ausgeliehen?", fragt ihre Nachbarin. "Nein, das Filmchen ausleihen sei so gut wie ausgestorben", erklärt die Referentin. Das alles laufe jetzt über das Netz. In die Mitte des Stuhlkreises legt die Referentin jetzt bunte Moderationskarten aus und fordert die Zuhörerinnen auf, positive und negative Assoziationen, die ihnen bei dem Begriff "Pornografie" einfallen, aufzuschreiben. Die Damen beginnen sofort ihre Vorstellungen auf Papier zu bringen. Nach zehn Minuten landen alle Karten in einer blauen Box. Die einzelnen Papierkarten werden nach und nach anonymisiert von der Referentin herausgenommen und mit Tesa an ein Whiteboard geklebt.

Zuerst füllt sich die rechte Spalte der negativen Assoziationen: Begriffe wie Erniedrigende Darstellungen, demütigende Inhalte, verzerrte Wirklichkeit, Ausbeutung der Darsteller und Rollenbilder mit einem Blitz dahinter kleben nach zehn Minuten unter einem unglücklichen Smiley. Die Referentin geht auf die einzelnen Punkte ergänzend ein: "In dieser Branche ist harter Drogenkonsum normal. Die Darstellerinnen werden unter Drogen gestellt." Auch die Zwangsprostitution habe enorm zugenommen. "Macht das, was gezeigt wird, den Darstellerinnen wirklich Spaß? Wenn man 70 Männer am Tag befriedigen muss", fragt sie in die Runde. Das sei doch ein Wahnsinn, rufen die im Stuhlkreis sitzenden Damen, dagegen wäre das, was man im Playboy sehe, ja harmlos.

Die Referentin ist Studentin der Sozialen Arbeit mit Schwerpunkt Gesundheit und schreibt gerade ihre Bachelor-Arbeit über die Gründe und Risiken des Internetsexkonsums. In den letzten Monaten hat sie dafür einiges an Fachliteratur, Büchern und Blogs von und über Betroffene gelesen und zahlreiche Internetforen über das Thema durchforstet.

Schrittweise füllt sich auch die Spalte der positiven Assoziationen: Anregung zum Experimentieren beim "echten" Sex, Ventil zur Selbstbefriedigung, Grenzerfahrung, anonym, nackt und Sex. Das sind die Schlagworte unter dem lachenden Smiley. "Sex ist ja eigentlich positiv", fügt die Referentin dieser Spalte hinzu. Im Laufe der Zettelauswertung bleibt es bei den sieben Wörtern. Die Referentin ergänzt selbst noch Wörter für die negative Spalte: Coolidge-Effekt, Dopamin-Überschuss und Pädophilie. Als Coolidge-Effekt wird in der Biologie und der Psychologie der wachsende Überdruss bezeichnet, der aufkommt, wenn man immer wieder mit dem gleichen Partner schläft. Das lasse sich auch auf Pornos übertragen, so die Referentin. Daraus resultiere, dass viele Süchtige zu immer härteren Inhalten greifen würden. Das lässt die Referentin zu dem Punkt der Pädophilie kommen: "Es gibt kaum Süchtige, die keine Kinderpornos auf dem Computer haben", behauptet die Referentin. Wissenschaftliche Belege für diese Behauptung führt sie nicht auf.

Dopamin, der andere Begriff auf den die Referentin eingeht, wird als Glücksgefühl bei Tätigkeiten wie etwa Essen oder Sex ausgeschüttet und weckt dabei den Wunsch nach Wiederholung. "Der Orgasmus, den man beim Porno schauen bekommt, ist größer, als ein Orgasmus mit einem realen Sexpartner. Es wird so auch mehr Dopamin ausgeschüttet", erklärt die Referentin.und bezieht sich auf ihre Recherchen der vergangenen Monaten. So könne relativ schnell eine Sucht entstehen. Die Sucht zeige sich dann, dass keine Lust beim normalen Partner entstehe, so die Referentin. "Aber ab wann wird es gefährlich? Ab wann ist man süchtig?", fragt eine der Zuhörerinnen. Das sei individuell, erläutert die Referentin.

Gegen Ende des Vortrags kommt die Referentin auch zu den Symptomen einer Pornosucht. Impotenz, Antriebslosigkeit, Depression und Wutausbrüche seien Anzeichen dafür. "Die Internetsucht an sich, wird häufiger auch in den Medien thematisiert, aber es gibt kaum Aufklärungsprogramme in Sachen Pornosucht." Das Thema sei eben nach wie vor ein Tabuthema. Zuletzt erklärt die Referentin, das Schlagwort auf ihrem letzten Zettel: Brot und Spiele? Pornokratie, steht darauf. "Die Pornoindustrie ist ein ganzer Wirtschaftszweig. Pornos lenken die Leute ab und halten sie bei Laune." Vielleicht gäbe es deswegen bisher kaum Aufklärungsprogramme und Anlaufstellen für Pornosüchtige.

"Ich glaube, die Zeit ist noch nicht reif, es wird noch dauern, bis auch das Krankheitsbild der Pornosucht in Deutschland anerkannt wird", sagt die Referentin. Für die nahe Zukunft wünsche sie sich zumindest eine strengere Altersbeschränkung für das Pornoschauen im Internet, damit Kinder davor geschützt werden. Bisher reicht ein einzelner Klick aus, um die Volljährigkeit zu bestätigen.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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