Tanzfestival:Im Einklang mit dem eigenen Körper

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Bei einem Tanzworkshop entwickeln Schüler der Brucker Mittelschule Nord unter professioneller Leitung eigene Choreografien. Das Projekt ist Teil des großen Tanzfestivals des Veranstaltungsforums, das kommende Woche startet

Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Wie ging das gleich nochmal? Auf die Knie wie bei einem Heiratsantrag. In die Hocke und das Bein nach vorne wegstrecken. Die zwölfjährige Diellza lacht und schaut gleichzeitig sehr verzweifelt. Wohin mit den Armen? Keine Ahnung, keine Zeit nachzudenken. Doch nachgedacht, deswegen den rechten Arm zu spät rausgestreckt. "Fünf, sechs, sieben, acht. Eins, zwei, drei, vier..." Im Staccato gibt Choreograf Ludwig Sinzinger das Tempo vor. Diellza ist ein bisschen außer Puste. Ein paar Strähnen haben sich aus ihrem Zopf gelöst, an ihrer feuchten Stirn bleiben sie kleben. "I'm alive" - "Ich bin lebendig" - steht auf dem T-Shirt eines Mädchens. So muss man sich auch fühlen nach 90 Minuten Tanztraining mit einem ehemaligen Bühnentänzer.

Seit Anfang April proben die 20 Schüler mit dem Brucker Choreografen und Ballettschulleiter Ludwig Sinzinger. Jeden Montag treffen sie sich in der dritten und vierten Stunde im Gymnastiksaal der Mittelschule Nord in Fürstenfeldbruck. Bis Ende Juni sollen die Schüler dabei eine etwa vierminütige Choreografie erarbeiten. Damit sind sie eines von vier tanzpädagogischen Projekten im Landkreis, die bereits im Vorfeld des internationalen Tanzfestivals "Dance first" im Veranstaltungsforum stattfinden. Zu diesem Festival sind drei renommierte Kompanien aus Kanada, Frankreich und Südafrika sowie bayerische Tänzer und Choreografen geladen. Für Heiner Brummel, den künstlerischen Leiter des Festivals, schließen sich Weltklasse und Tanzpädagogik wie in der Mittelschule Nord nicht aus. Er wolle keine "reine Aushängeveranstaltung", sondern möglichst viele Beteiligte im Landkreis einbinden.

Beim Tanzworkshop müssen die Tänzer sich mit klassischer Musik auseinandersetzen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Dazu gehörten neben Choreografen und Pädagogen der Schulen für künstlerischen Tanz nun mal auch Mittel- oder Förderschüler genauso wie junge Flüchtlinge. "Viele Kinder und Jugendliche in den Projekten sind in ihrem Leben bislang nie oder kaum mit Kultur in Berührung gekommen." Gründe dafür gibt es einige: "Desinteresse, Geldmangel oder schlichtweg Unwissen." Der elitäre Habitus von Kulturveranstaltungen täte da leider sein Übriges. Die Hemmschwelle sei halt sehr hoch, sagt Brummel.

Ein Stöhnen mit leicht genervtem Unterton klingt auch durch den Saal, als Sinzinger die Musik wechselt. Jetzt ist erst einmal Schluss mit Rihannas "Work, work, work...", und es kommt Johann Sebastian Bach an die Reihe, mit seiner Präludien- und Fugensammlung "Das Wohltemperierte Klavier". "Das ist mein Gegenpunkt zur Musik der Schüler", sagt Sinzinger, der seine Ausbildung an der Münchener Ballettakademie und an der Dresdner Palucca Hochschule für Tanz erhielt. Niemand solle während des Projekts zum Liebhaber klassischer Musik erzogen werden. Nur darauf hinweisen - "Hört mal, Leute, das gibt es auch noch" - sei das Ziel. Langsam führe er die Schüler heran. Bach und Beats würden sich auch keineswegs ausschließen. Wie fließend die Grenzen zwischen Hoch- und Jugendkultur sind, bewies die Berliner Breakdance-Gruppe "Flying Steps". In ihrer viel bejubelten Performance "Red Bull Flying Bach" mixten sie Bach mit elektronisch verfremdeten Klängen. Auch bei den Brucker Mittelschülern käme die Adaption gut an, sagt Sinzinger.

Sie dürfen aber auch zu ihren eigenen Titeln tanzen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Konzentrierte Stille hat das schier nimmer enden wollende Geplapper und Gekicher abgelöst. "Ganz langsam. Viel zu schnell. Wer soll denn da hinterherkommen?" Sinzinger schafft den Spagat zwischen bester Kumpel und gestrengem Ballettmeister. Die Schüler sind auf ihn fixiert, folgen seinen Anweisungen. In Vierergruppen stehen sie hintereinander. Der Erste macht eine Bewegung vor, die anderen imitieren. Ein Präludium aus "Flying Bach" verleiht ihnen buchstäblich Flügel. Auf und ab bewegen sie ihre Arme wie Schwingen. "Schön." Sinzinger ist zufrieden.

Von Mal zu Mal stelle sich die Gruppe besser aufeinander ein. Das sei nicht einfach, denn jeder der Schüler bringe unterschiedliche Bewegungsvorerfahrungen mit, sagt Sinzinger. Es gehe ihm nicht darum, dass sie in ein paar Monaten eine stringente Choreografie mit tiefer Symbolik erarbeiteten. Aber er wolle den Schülern in kleinen Übungen zeigen, wie man seinen Körper kontrolliere und dessen ganz eigene Sprache bewusster einsetze. "Gehen und Laufen - jeden Tag tun wir es, aber worin besteht der Unterschied? Was passiert eigentlich, wenn wir jemandem die Hand geben? Wie wirke ich auf andere, wenn ich die Hände vor dem Körper verschränke." Nicht zuletzt sollten die Jugendlichen erfahren, wie es sich anfühle, wenn man etwas Kreatives geschaffen habe.

Mit einer Mischung aus bestem Kumpel und gestrengem Ballettmeister schafft es Ludwig Sinzinger, die Schüler zu motivieren. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Mit Fleiß und Disziplin lässt sich viel erreichen", sagt Heiner Brummel. Ein Beispiel dafür sei die zum Festival geladene "Compagnie Accrorap", deren Mitglieder überwiegend aus dem Maghreb stammen. Sie begannen als Straßentänzer und zählen mittlerweile zu den führenden Ensembles Frankreichs. Geplant sei, dass alle Jugendlichen aus den vier Projekten vergünstigte Karten zu den Vorstellungen bekämen. "Viele können sich nicht nur mit solchen Geschichten identifizieren, sondern bestimmt auch Motivation daraus schöpfen", davon ist Brummel überzeugt.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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