SZ-Serie: "Vom Malz zur Mass":Für Genussmenschen mit Muße

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Michael Wiesmeier kann sein Bier mit genau der feinherben Geschmacksnote brauen, die er so gerne mag. Gelernt hat er das bei einem Wissenschaftler. Der weiß, dass Know-how, Kreativität und Improvisationstalent wichtig sind, man es vor allem aber nicht eilig haben darf

Von Stefan Salger, Germering

Drei Flaschen hat Michael Wiesmeier noch im Kühlschrank stehen. Unbezahlbare Unikate für Liebhaber. Deshalb muss streng rationiert werden und ausgeschenkt wird nur an sehr gute Freunde oder ausnahmsweise mal an einen Reporter, der sich verirrt in die kleine Wohnung im Hochhaus. Dann wird ein "Flensburger Pilsner" geöffnet. Von dem Etikett freilich sollte man sich nicht in die Irre führen lassen. Nachdem der Bügel mit einem satten "Plopp" zurückgeschnalzt ist, fließt Wiesmeier-Premieren-Bier ins bauchige Pilsglas. Noch am Telefon hatte der 29-Jährige mit dem wallenden roten Bart zu bedenken gegeben, es könne gut sein, dass das Bier wegen der langen Lagerung gar nicht mehr genießbar sei. Das wäre der Super-Gau für jeden ambitionierten Bierbrauer. Zumal der nächste Sud erst für Herbst geplant ist. Zu allem Überfluss wird gerade das Germeringer Trinkwasser gechlort. Chlor-Bier? Muss nicht sein, findet Wiesmeier und lacht.

Die Bierprobe fällt dann aber astrein und ohne jeglichen Wermutstropfen aus: schöner Schaum, goldgelbe Flüssigkeit, fein herber Geschmack, perfekt!

Der Weg zum Hobby-Bierbrauer führte über verschlungene Pfade, vor allem kommt Wiesmeiers Frau Alexandra, die sich im Wohnzimmer gerade ums Baby kümmert, eine tragende Rolle zu. Im Bekanntenkreis haben die beiden ein paar gelernte Brauer. Und so gab es ein nicht ganz alltägliches Geburtstagsgeschenk: den Gutschein für einen Brau-Kurs bei der örtlichen Volkshochschule. Schließlich ist ihr Michael ein Bierkenner. Der gebürtige Augsburger steht auf Flensburger oder Pilsner Urquell, also eher "was Herbes". Im Kurs des Dozenten Moritz Gretzschel kommt ihm deshalb das fruchtig-herbe Pale Ale als "Gesellenstück" für Anfänger gerade recht. An einem Samstag im März steht zunächst Theorie auf dem Lehrplan: Biochemie, Hygiene, Mengenberechnungen, alles rund ums Gären und Lagern sowie rechtliche Aspekte. In der Praxis werden dann 40 Liter Sud angesetzt. Beim Nachtermin zum Verkosten des fertigen Biers nebst Brotzeit hat Wiesmeier aber keine Zeit mehr.

Den 30. März hat sich Wiesmeier dick im Kalender angestrichen: An diesem Tag braut er selbst das erste Mal zu Hause. Bei der Premiere geht nicht alles reibungslos. Die Löcher am Boden des Bottichs werden vom Malzschrot zugesetzt. Bis Wiesmeier auf die glorreiche Idee kommt, ein Sieb aus der Küche zweckzuentfremden. Nach drei bis sechs Tagen sollte eigentlich die Hefe schäumen. "Hat aber nicht geschäumt", stellt Wiesmeier lapidar fest. Wieder kommt Hilfe aus der Küche - diesmal in Gestalt eines Schneebesens, der als Schaumschläger für eine bessere Durchlüftung eingesetzt wird.

Achtung Etikettenschwindel: Da, wo Flensburger Pilsner draufsteht, ist Wiesmeier-Original drin. (Foto: OH)

Dann werden acht Liter in leere Flaschen abgefüllt und die Spannung steigt weiter. Eigentlich schaut so weit alles ganz gut aus. Rechnet man alles zusammen, wird da schon klar, dass selbst zu brauen teurer ist als der Träger Bier aus dem Getränkemarkt - die acht Liter kommen auf 25 Euro, die etwa acht Stunden Arbeit darf man ohnehin nicht dazurechnen. "Man muss schon Überzeugungstäter sein", räumt Michael Wiesmeier ein.

Und doch lohnt sich die Investition: Das Wiesmeier-Bier steht hoch im Kurs beim Grillfest mit den Freunden und auf der Hochzeitsfeier. In Geld aufwiegen lässt es sich allein schon deshalb nicht, weil es gar nicht verkauft werden darf. Da ist das Zollamt streng, bei dem Wiesmeier sich angemeldet hat. 200 Liter pro Jahr dürfen Hobbybrauer für den Eigenverbrauch steuerfrei herstellen. Von dieser Menge ist die kleine "Privatbrauerei" im dritten Stock des Germeringer Mietshauses noch weit entfernt.

So ist das auch bei Moritz Gretzschel und all den Teilnehmern seiner vier bisherigen Kurse. Der 48-Jährige ist eigentlich Professor für Maschinenbau und Elektromobilität an der Hochschule Aalen. Aber sein Steckenpferd ist halt das Bierbrauen. In der Szene hat er sich einen Namen gemacht - nicht zuletzt als Redaktionsmitglied des Online-Braumagazins. Der Hausbrauer hat bei Wettbewerben schon Preise gewonnen und Sonderbiere großer Brauereien mitentwickelt. Beim "Brauen mit allen Sinnen" können die 15 Teilnehmer Rohstoffe wie Malz, Hopfen und Hefe sowie Zwischenprodukte wie Maische, Würze oder Treber fühlen, riechen und kosten. Das Wichtigste: "Bierbrauen braucht seine Zeit." Acht Tage Gärung, sechs bis acht Wochen Reifung. Wer es eilig hat, geht besser zum Getränkemarkt. Es gebe durchaus "einen Trend zum handwerklich hergestellten Bier", stellt Gretzschel fest. Beim Craft-Bier seien die Amerikaner schon ein paar Schritte voraus. Drei Jahre lang lebte der Wissenschaftler dort - und lernte beispielsweise das stärker eingebraute India Pale Ale (IPA) zu schätzen, das hierzulande damals kaum zu bekommen war. Mit zurück nach Deutschland brachte er vor zehn Jahren den Ehrgeiz, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dabei tastete er bewusst das angeblich unantastbare Reinheitsgebot an: Zur Adventszeit schmeckt Gretzschels Bier schon mal nach Lebkuchengewürz, im Sommer nach Beeren.

Als Kritik am Reinheitsgebot hat Gretzschel auch schon Bier wie das schwäbische Nationalgericht gebraut - aus zerstoßenen Linsen, getrockneten Spätzle und etwas Malz für die notwendigen Enzyme. Das habe sehr gut geschmeckt, berichtet er. Es gibt kaum kreative Grenzen. Gretzschel hat mehrere Fachbücher durchgeackert, stundenlang die Küche blockiert, wurde von seiner Frau nebst Brauereiutensilien in den Hobbyraum verbannt - und hat dort erkannt, welche Fehler es zu vermeiden gilt. Ja, auch, dass man die Geduld seiner Frau nicht überstrapazieren sollte.

Vor allem aber den Dreisatz der Fehler, die es zu vermeiden gilt. Nicht zu viel Hopfen, um das Bier nicht zu bitter zu machen. Es mit dem Kohlensäuregehalt nicht übertreiben. Und durch absolute Sauberkeit - wie im OP-Saal einer Klinik - unbedingt eine Infektion mit Milchsäurebakterien vermeiden. Sonst gibt's Sauerbier. Und Sauerbiere sind Gretzschel zufolge zwar in der Tat gerade ein ganz großer Trend in der Craft-Bier-Szene - aber erstens nur in einer sehr genau geplanten Form und zweitens auch dann nicht jedermanns Sache.

Der viel zitierte Weg jedenfalls ist auch beim Brauen das Ziel. Das sei vergleichbar mit dem Bau einer Modelleisenbahn-Anlage, sagt Moritz Gretzschel mit Blick auf sein zweites Steckenpferd: "Man sieht etwas entstehen. Das ist ein erfüllendes Hobby."

In der SZ-Serie "Vom Malz zur Mass" bisher erschienen: "Vom Kultgetränk zum Craft-Bier" und "Brauen wie in der Steinzeit" (27. August); "Die vier Diven" (28. August); "Angesehen und einflussreich" (30. August) ; "Der klassische Biertrinker ist eher konservativ" (1. September); "Die große Vielfalt" (4. September); "Der Radius um den Schornstein wird größer" (5. September); "Der neue Bräu im alten Gut" (7. September); "Aus dem Keller auf den Tisch" (11. September) . "Weihnachtsüberraschung" (14. September). "Ohne Schnickschnack " (15. September). Alle Fo lgen sind online unter www.sz.de/brauereien zu finden.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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