SZ-Serie "Sagen und Mythen", Folge 8:Der diabolische Pudel

Lesezeit: 3 min

Ein rabenschwarzer Hund soll in Grünsink und Percha sein Unwesen getrieben und nächtlichen Wanderern auf der Würmbrücke einen Heidenschrecken eingejagt haben. Womöglich diente die Mär auch nur dazu, Zecher zur rechtzeitigen Heimkehr zu animieren

Von Armin Greune

Anderswo jagt man Kindern mit Bären oder Wölfen Angst ein. Im Fünfseenland aber muss ausgerechnet eine im Grunde herzige Haustierrasse als nächtliche Horrorgestalt herhalten. Die Rede ist vom schwarzen Pudel, der einst sowohl in Grünsink als auch in Percha sein Unwesen getrieben haben soll. Dem Historiker Benno Gantner hat noch sein Großvater, der 1990 mit 91 Jahren gestorben war, die Mär vom Brückenpudel erzählt. Der soll von Mitternacht bis ein Uhr früh auf der Würmbrücke zwischen Starnberg und Percha einsamen Wanderer aufgelauert haben, um ihnen einen Heidenschrecken einzujagen. "Mit seinen schaurig leuchtenden Augen und unheilvollem Knurren stellte er sich mitten auf der Brücke und zwang die Leute zum Umkehren", erzählt Gantner.

Mit dieser Gruselgeschichte wollte man weniger ungezogene Kinder - die ja um Mitternacht längst im Bett liegen müssten - beeindrucken als saumselige Zecher: "Das war wohl als erzieherische Maßnahme gedacht, um sie zur rechtzeitigen Heimkehr zu bewegen", meint Gantner. Wer zu spät zur vom Pudel bewachten Brücke kam, musste entweder umdrehen und sich eine Herberge suchen oder einen weiten Umweg in Kauf nehmen. Also war man gut beraten, die Zechtour abzukürzen und vielleicht ein Glas weniger zu trinken, um vor dem 12-Uhr-Schlagen am jenseitigen Würmufer zu sein. Gantner vermutet, dass Gruselgestalten wie der Pudel trotz des damit verbundenen Aberglaubens von den kirchlichen und weltlichen Herren nicht ungern gesehen wurden: "Es ging auch darum, die bildungsfernen Schichten ein bisserl einzuschüchtern." Schließlich beeinträchtigen ausufernde Gelage am Vorabend beim nächsten Tagwerk die Arbeitskraft des Untergebenen. Und an der hatten die Grundherren ein natürliches Interesse.

Ob auch der Opa dem kleinen Benno seinerzeit erfolgreich mit dem Nachtmahr drohte, weiß der Leiter des Arbeitskreises Ortsgeschichteforschung im Landkreis Starnberg nicht mehr. Tagsüber zumindest hätten sich die Perchaer Lausbuben gern an - oder eher unter - der Brücke aufgehalten: Von der Tragkonstruktion aus ließ sich etwa prima schwarzfischen, ohne Aufsehen zu erregen. Gantner erinnert sich aber auch daran, dass die alte - und längst von einem Betonbauwerk ersetzte - Holzbrücke Knarzgeräusche von sich gab, die im Dunkeln schon unheilvoll wirken konnten. Dazu kam, dass die Würm eine "historisch nicht ganz unbedeutende Grenze" darstellte: Sie trennte das Erzbistum München und Freising vom Bistum Augsburg. Die heute fast vergessene Diözesangrenze war im Volk früher tief verankert: "Die Würm wurde von Percha aus als Bollwerk gegen 'die Augsburger' gesehen, und schon die Starnberger waren die 'über dem Jordan'", sagt Gantner. Kein Wunder also, dass manche noch Anfang des 19. Jahrhunderts überzeugt waren, dass es auf der Brücke spukt. Und so brauchte es nicht viel, um potenzielle nächtliche Grenzgänger abzuschrecken. Jedenfalls stand der Pudel nie im Ruf, gebissen, gebellt oder ein markerschütterndes Geheul ausgestoßen zu haben - sein rot glühender Blick reichte völlig, um alle in die Flucht zu schlagen.

Anders verhielt es sich mit seinem Artgenossen, der in der Nähe der Kapelle Grünsink auf Weßlinger Terrain herumgegeistert sein soll. Auch dieses Untier ist eindeutig als "Grünsieker Pudel" identifiziert worden - obwohl es rabenschwarz war, nur nächstens und stets ohne Kopf erschien. Ein weiterer Pudel taucht in der Sage um den Dießener Schatzberg auf: Darin musste ein als Held auserwählter Hirte um Mitternacht in den Schlosskeller steigen, um ein Edelfräulein von einem Fluch zu erlösen. Dazu soll er einen goldenen Schlüssel holen, den ein Riesenpudel zwischen den Zähnen hält. Den Hirten verlässt darob der Mut und er sucht sein Heil in der Flucht. Das enttäusche Edelfräulein aber verflucht die ganze Gegend - worauf das Schloss samt Schatz zu Staub versinkt und sich das Wasser so lange vom Himmel ergießt, bis der Ammersee entstanden ist.

Wenngleich schwarze Hunde seit jeher mit Unheil, Tod und Teufel in Verbindung gebracht werden (siehe Kasten), erscheint es ein wenig rätselhaft, warum gerade ein Pudel als Schreckgespenst herhalten musste. Schließlich gilt die Rasse heute als lernfreudig, lebhaft und verspielt - oder als hochgestyltes Objekt der Zuneigung älterer Damen. Auch Gantner ist da auf Mutmaßungen angewiesen: "Früher waren ja auf dem Land nur wenige Hunderassen bekannt - der Pudel galt da wohl als exotische Erscheinung."

Ein Exemplar brachte es bekanntlich als Alter Ego des Satans gar zur literarischem Weltruhm: In Goethes "Faust" läuft dem Titelheld im Wald ein Pudel zu. Doch kaum sind beide ins Studierzimmer zurückgekehrt, verwandelt sich das Tier in den Leibhaftigen: "Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?/ Wie wird mein Pudel lang und breit! Er hebt sich mit Gewalt,/Das ist nicht eines Hundes Gestalt!/ Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!/Schon sieht er wie ein Nilpferd aus." Und als Dr. Faustus endlich Mephistoles gegenüber steht, ruft er aus: "Das also war des Pudels Kern!"

Übrigens war die Rasse auch im Allgäu gefürchtet: Dort nahm man an, ein Pudel springe Bäuerinnen in den Rucksack, worauf sich die arme Frau nicht mehr von der Stelle rühren könne. Und in Graubünden glaubte man, ein schwarzer Pudel erscheine zur Geisterstunde und laufe rückwärts umher. Andererseits kann so ein Tier einem weiteren Mythos nach auch nützlich sein: Lässt man einen schwarzen Pudel in der Johannisnacht die Alraune aus dem Boden ziehen, bleibt man angeblich selbst von dem todbringenden Schrei der Zauberwurzel verschont.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: