SZ-Serie: Polit-Paare, Folge 2:Die soziale Triebfeder

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Die Familie Off-Nesselhauf ist seit mehr als 40 Jahren eine Konstante im Germeringer Stadtrat. Besonders die Frauen mussten sich ihre Position erkämpfen

Von Andreas Ostermeier, Germering

In der Germeringer Familie Off-Nesselhauf scheint es so etwas wie ein kommunalpolitisches Gen zu geben. Mit Benedikt Nesselhauf, 37, ist im Mai die dritte Generation über die CSU-Liste in den Stadtrat eingezogen. Er ersetzt dort seine Mutter Gabriele Off-Nesselhauf, 64, die sich nicht mehr hatte aufstellen lassen. Auch Benedikts Großmutter Friedl Off war Mitglied des Stadt- und zuvor des Gemeinderats von Germering. Und selbst Gabriele Off-Nesselhaufs Vater hat einmal für den Gemeinderat kandidiert - allerdings erfolglos. Selbstverständlich ist solches Engagement über Generationen nicht. Und ein kommunalpolitisches Gen gibt es nicht. Aber welche Gründe sind es dann, die zu einem Engagement über Generationen führen?

Eine Erklärung ist wohl das Vorbild, das Friedl Off war, die vor zwei Jahren gestorben ist. Gabriele Off-Nesselhauf hält die starke religiöse Prägung der Mutter für einen Beweggrund ihres Handelns. Als Katholikin habe sie es als ihre Aufgabe angesehen, anderen zu helfen. Das habe sie vorgelebt. In den Sechzigerjahren habe sie erkannt, dass alte Leute in ihren Häusern allein zurückblieben und sich niemand um sie kümmerte. Es fehlten Verwandte, die sich um Senioren sorgten, also mussten Nichtverwandte dies tun. Diese Überlegung stand am Anfang des Germeringer Sozialdienstes - Friedl Off gehörte zu seinen Gründungsmitgliedern.

Überhaupt war die Großmutter vor allem in der Pfarrei tätig, ehe sie Ende der Siebzigerjahre Gemeinderätin wurde. An Weihnachten haben die Eltern alleinstehende Menschen aus dem Dorf zum gemeinsamen Feiern des Fests eingeladen. Das hieß für sie, den Heiligabend wirklich wie Christen zu begehen. Das Vorbild tat seine Wirkung. Auch Gabi Off-Nesselhauf hat sich früh in der Pfarrei engagiert und war Pfarrjugendleiterin.

Für die Tochter war allerdings nicht nur das soziale Engagement Vorbild. "Bei uns zu Hause wurde immer diskutiert", sagt Gabriele Off-Nesselhauf. Und Argumente zählten. Anfang der Siebzigerjahre sei sie großer Fan von Willy Brandt gewesen, sagt die Bezirksrätin. Vor allem Brandts Partei, die SPD, war aber nicht nach dem Geschmack der Mutter, die immer "christlich-sozial" gewesen sei. Doch die Mutter wertete den Enthusiasmus der Tochter nicht ab. "Du darfst gerne für den Brandt sein", habe sie gesagt, "aber nenne mir Argumente dafür."

Friedl Off (Mitte) ging als erste in die Politik, es folgten Tochter Gabriele und Enkel Benedikt. (Foto: Johannes Simon)

Auch Benedikt Nesselhauf kann sich gut daran erinnern, mit der Großmutter über Politik diskutiert zu haben. Einmal habe er ihr vorgehalten, Germering in einen "Geriatrie-Standort" verwandeln zu wollen. Da habe sie ihm klar gemacht, welche ganz anderen Erfahrungen als er selbst die alten Menschen machten, wenn sie schlechter hören und sehen und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Die Großmutter erzählte von einem Anzug, der es möglich mache, solche Einschränkungen auch als junger Mensch erfahren zu können. In solchen Diskussionen habe er gelernt, politisch zu denken, sagt Benedikt Nesselhauf, also die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten und unterschiedliche Interessen zu bedenken.

Ein wichtiges Movens für politisches Engagement sieht Benedikt Nesselhauf auch darin, etwas verändern zu wollen. Die Großmutter habe vor allem die soziale Situation alter Menschen verbessern wollen. Und von diesem Ziel konnte sie nichts abbringen - auch nicht das Desinteresse von Landespolitikern oder Sozialministerinnen. Für ihre Anliegen wurde sie immer wieder vorstellig, kämpfte hartnäckig darum, dass sie umgesetzt werden konnten. Die Sozialministerinnen Barbara Stamm und Christa Stewens könnten sich noch gut an ihre Mutter erinnern, sagt Gabriele Off-Nesselhauf.

Solche Hartnäckigkeit ist anstrengend, Politik tue manchmal auch weh, habe Friedl Off gesagt, und dennoch unverdrossen weitergemacht. Auffällig an Friedl Off sei deren Pragmatismus gewesen, sagen Tochter und Enkel. Theoretische Reflexionen waren nicht angesagt, es sei immer darum gegangen, das zu ändern, was als falsch oder unzureichend erkannt worden war. So blieb das Engagement der Mutter auf die Kommune begrenzt, sagt die Tochter. Ihr Engagement zieht weitere Kreise. Gabriele Off-Nesselhauf war nicht nur Stadträtin, sie sitzt noch im Kreistag und im Bezirkstag für Oberbayern. Ihr Schwerpunkt ist die Frauenpolitik, und die will sie auch in ihrer Partei, der CSU, voranbringen. Deshalb stellt sie sich als Mentorin für Frauen zur Verfügung, die in der Partei aufsteigen oder ein Mandat erringen möchten. So hat sie beispielsweise Karin Kamleiter, die CSU-Bürgermeisterkandidatin in Puchheim, gecoacht.

Eine feste Größe ist die Familie Off-Nesselhauf in Germering. (Foto: Johannes Simon)

Angefangen hat Gabriele Off-Nesselhauf als Gleichstellungsreferentin im Germeringer Gemeinderat. "Das war anfangs hart", erzählt sie. "Ich musste wirklich viel lernen." Nicht nur, dass ihr als Mitglied der CSU auf diesem Gebiet wenig zugetraut wurde, bereitete der jungen Kommunalpolitikerin Schwierigkeiten. Sie habe von den teilweise starken Benachteiligungen von Frauen keine Ahnung gehabt, sagt sie. Zu Hause seien Vater und Mutter gleichgestellt gewesen, und auch in ihrem ersten Beruf als Flugbegleiterin habe sie keine Benachteiligungen erfahren. Nun lernte sie, dass sich viel mehr Frauen politisch betätigen wollten, als dies wirklich tun.

Die Bedingungen für Frauen seien schwieriger als für Männer, allein schon wegen der Familienarbeit, sagt sie. Als Mutter von zwei Söhnen habe sie das auch an ihrer Situation gemerkt. "Wer passt auf die Kinder auf, wenn ich einen Termin habe und der Vater nicht zu Hause ist?" Diese Frage kenne sie gut, sie habe sie sich oft gestellt, sagt Off-Nesselhauf. Ein Partner, der einem den Rücken stärke, das sei schon von Vorteil. Benedikt Nesselhauf schätzt an seiner Frau zudem, dass sie ebenfalls politisch sehr interessiert ist. In ihr habe er einen Sparringspartner.

Gabriele Off-Nesselhauf und Benedikt Nesselhauf tragen einen in Germering bekannten Namen. Profitieren sie auch von diesem Namen? Gabriele Off-Nesselhauf sagt, ein solcher Name bringe Vor- und Nachteile. Sie sei besonders in den Anfangsjahren ihrer politischen Tätigkeit oft an der Leistung der Mutter gemessen worden. "Es war nicht leicht, sich da herauszuarbeiten." Benedikt Nesselhauf ergänzt, er habe sich auch schon dumme Sprüche wegen seines Namens anhören müssen. Doch der Name sei auch ein Vorteil, denn manche Wähler erinnerten sich auch an das, was die Großmutter erreicht hat. Beide betonen aber, dass alle Off-Nesselhaufs auf unterschiedliche Weise Politik machten. Auch sind die Mitglieder einer Familie nicht immer einer Meinung. So stehe er anders zur Ansiedlung des Briefverteilzentrums, gegen das seine Mutter gestimmt hat, sagt Benedikt Nesselhauf.

Bislang erschienen: Peter und Hannelore Münster, Eichenau (8./9. August)

© SZ vom 14.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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