SZ-Serie: "Inklusion" (Teil 17):Teilhabe ist mehr als purer Konsum

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Kulturelle Inklusion bedeutet nicht nur, dass Menschen mit und ohne Behinderung Veranstaltungen besuchen können. Sie sollen vielmehr die Möglichkeit erhalten, selbst aktiv zu werden

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Stark verbesserungswürdig. Mit diesen zwei Worten beschreibt Thilo Wimmer von der Caritas-Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung die kulturellen Teilhabemöglichkeiten im Landkreis. Gerade kleine Veranstalter seien meist nicht dafür vorbereitet, Behinderten einen problemlosen Besuch zu ermöglichen. Bei den großen Veranstaltungshäusern ist das teilweise anders, weil sie zumindest barrierefrei ausgebaut sind und oft weitere Angebote bereithalten. Aber auch diese, so Wimmer, würden noch lange nicht selbstverständlich und regelmäßig genutzt.

Was die Sache so schwierig macht, ist, dass jeder Mensch mit Behinderung andere Anforderungen hat. "Wenn man beispielsweise die Gruppe der Schwerhörigen oder Menschen, die nichthörend sind, betrachtet, dann wird es schon problematisch. Denn auch in den großen Häusern gibt es beispielsweise in der Regel keine Gebärdendolmetscher", sagt Wimmer. Ein anderes Beispiel sei, dass einige kleine Veranstaltungsorte zwar barrierefrei zugänglich seien, aber nicht über eine behindertengerechte Toilette verfügten.

Technische Hilfen für Blinde und Sehbehinderte gibt es in der Stadthalle Germering. (Foto: Günther Reger)

"Wieder eine andere Frage ist, wie es mit Menschen mit geistiger Behinderung aussieht. Die können vielleicht zu einer Veranstaltung kommen, aber welches System gibt es dann für sie?", fragt sich Wimmer. Für geistig Behinderte organisiert beispielsweise die Caritas immer wieder mal gemeinsame Veranstaltungsbesuche. "Aber das ist dann eben von uns geplant. Eigentlich müssen wir dahin kommen, dass das, was wir tun, gar nicht notwendig ist, weil es einfach selbstverständlich funktioniert. Doch das ist noch ein sehr weiter Weg."

In der Stadthalle Germering und beim Brucker Veranstaltungsforum ist Inklusion durchaus ein Thema. "Wir haben vor wenigen Jahren unser ganzes Haus nach Anregungen des Behindertenbeauftragten saniert", sagt Medea Schmitt, Leiterin der Stadthalle. Das komplette Haus ist barrierefrei, es gibt Plätze für Rollstuhlfahrer in allen Sälen, und das Leitsystem für Sehbehinderte ist so vorbildlich, dass es vom Blinden- und Sehbehindertenbund zur Ausbildung seiner Mitglieder genutzt wird. Und in den kommenden Wochen wird eine moderne Anlage für Hörgeschädigte eingebaut.

"Anfragen von geistig Behinderten bekommen wir nur selten, vielleicht einmal im Jahr", erklärt Schmidt. Ähnlich ist es im Veranstaltungsforum. "Wir sind natürlich komplett barrierefrei ausgebaut und haben eine Induktionsanlage für Hörbehinderte. Darüber hinaus gehende Anfragen sind sehr selten, die behandeln wir dann individuell", sagt Sprecherin Marita Kuhn.

Aber der Konsum von Kultur ist nur die eine Seite. Noch wichtiger ist für Wimmer allerdings die Frage der kulturellen Teilhabe. "Kultur ist ja weit gefasst. Da geht es auch um das kulturelle Leben, etwa in den Vereinen. Angefangen vom Trachtenverein bis zu den anderen Vereinen, die sich um die Pflege der Kultur kümmern." Aktuell könne er keinen Verein als Beispiel nennen, der für Menschen mit Behinderung offen sei. "Ich möchte da aber niemanden angreifen. Es ist einfach so, dass nach wie vor eine große Unsicherheit darüber herrscht, wie man Menschen mit Behinderung einbinden kann. Aber ich würde mir wünschen, dass die Vereine vielleicht Kontakt zu uns aufnehmen und uns um Unterstützung bitten." Allerdings, betont Wimmer, funktioniere dieser Prozess nur, wenn man die Behinderten einbinde. "Was wir auch oft erleben, ist, dass es Initiativen gibt, die Menschen mit Behinderung einbinden wollen, nicht unbedingt im kulturellen Bereich, aber dann meldet sich so gut wie niemand an", erzählt Wimmer. "Das hat natürlich damit zu tun, dass solche Angebote für Menschen mit Behinderung bisher auch nie ein Thema waren. Deswegen muss man sie von Anfang an mit ins Boot holen und ihnen Informationen geben. Öffentlichkeitsarbeit ist ein ganz wichtiger Faktor."

Am besten könne Inklusion ins kulturelle Leben über einzelne Projekte funktionieren, die beispielsweise von der Kontaktstelle unterstützt werden und aus denen sich dann langfristige Teilhabe entwickelt. So könnten Berührungsängste am leichtesten abgebaut werden. "Es ist ja auch nicht so, dass dann auf einmal zehn Menschen mit Behinderung dabei sind, es geht wirklich nur um Einzelfälle", betont Wimmer.

Die Caritas-Kontaktstelle selbst organisiert drei große Kulturprojekte für Menschen mit und ohne Behinderung. Der Kulturtreff "Grenzenlos" lädt vier Mal im Jahr ins Mehrgenerationenhaus in Fürstenfeldbruck ein. Die Veranstaltungen werden von einer Projektgruppe gestaltet, die aus Menschen mit und ohne Behinderung besteht. Von der Planung über die Künstlerauswahl und die Werbung bis zur Betreuung der Besucher plant die Gruppe die gesamte Veranstaltung. Eingeladen werden meist Musiker, aber auch ein Improvisationstheater war schon zu Gast. "Uns geht es dabei darum, dass von Anfang an alle mitwirken können und nicht nur beim Ergebnis dabei zu sein", sagt Thilo Wimmer.

Im Brucker Veranstaltungsforum steht eine Induktionsanlage für Hörgeschädigte zur Verfügung. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das zweite Projekt ist "Tutti in Tango", ein Tangoabend, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen kommen, um gemeinsam zu tanzen. Vor dem Tanzabend gibt es noch vier Workshops zum Thema Tango. Etwa 80 Menschen kämen jedes Mal, erzählt Wimmer, etwa ein Drittel von ihnen habe eine körperliche oder geistige Behinderung. "Am Anfang war es natürlich für den ein oder anderen nichtbehinderten Teilnehmer außergewöhnlich. Aber über das Medium der Musik kommen alle zusammen", sagt Wimmer. "Ich habe viele Rückmeldungen bekommen, dass die Menschen sehr positive Erfahrungen gemacht haben. Gerade die Menschen mit geistiger Behinderung freuen sich, weil sie dort die Möglichkeit haben, neue Kontakte zu knüpfen. Dazu haben sie ja sonst im Alltag gar nicht so oft die Möglichkeit".

Das Leuchtturmprojekt der Kontaktstelle ist allerdings der Chor "Oh Happy Day", der nicht nur auf der Bühne, sondern auch für die Besucher kulturelle Inklusion geradezu mustergültig vorlebt.

Interessierte Vereine können sich an Thilo Wimmer, Caritas-Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung wenden, telefonisch unter 08131/29 81 900 oder per Mail an Thilo.Wimmer@Caritasmuenchen.de

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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