SZ-Serie: Inklusion, Teil 10:Die eigenen vier Wände

Lesezeit: 5 min

Gerade im Alter stellt sich die Frage nach der Wohnform neu. Möglichkeiten gibt es inzwischen viele. Sie reichen vom Zuhause über die Sicherheit des betreuten Wohnens bis hin zur Vollversorgung im Seniorenheim

Von Moritz Dauer, Fürstenfeldbruck

Wenn ältere Menschen sagen "Innerlich fühle ich mich noch wie 21", dann haben sie erkannt, dass sie äußerlich sichtbar alt geworden sind. In ihrem Inneren aber sind noch die Gefühle und Erinnerungen, die Sehnsucht nach der Jugendzeit, die nicht mehr erfüllt werden können. Doch wie gehen die jung gebliebenen Alten damit um? Gibt es ein Rezept, eine Fernsehshow, die das perfekte Konzept für das Altern vorgibt? Jeder Alte hat da so seine eigenen Vorstellungen oder macht sich erst gar keine Illusionen. Bis ins hohe Alter aktiv bleiben, Sport treiben, unterwegs sein statt daheim zu hocken, das wird von Rentner erwartet. Doch tut die Gesellschaft genug, damit sich Alte auch wohlfühlen können, gibt es die Entwürfe für den letzten Lebensabschnitt? Antworten geben drei Senioren aus dem Landkreis.

Sich ins Altenheim zurückziehen , um dort seinen Lebensabend zu verbringen, dort auch die Vergänglichkeit des Lebens begegnen, diese Erfahrungen macht Herbert Engels, Bewohner des evangelischen Pflegezentrums Eichenau. Ursprünglich hat Engels mit seiner Frau in einem der Apartments für Ehepaare im Pflegezentrum gelebt. Er hat sie bis zu ihrem Tod gepflegt und wollte dann eigentlich wieder in eine kleine Wohnung in der Nähe ziehen Doch Engels ist im Heim geblieben, hat ein kleineres Zimmer bezogen. Seit sieben Jahren lebt der 83-Jährige inzwischen im Pflegeheim.

Im Großen und Ganzen kann er sich nicht beklagen, meint er, denn die Wäsche wird gemacht, sein Zimmer ist sauber und auch um die Körperpflege der Bewohner kümmern sich die Mitarbeiter. Dazu gehört auch der wöchentliche Badetag. "Sogar das Essen ist meistens in Ordnung", sagt Engels. Verständlich, wenn für so viele gekocht wird, dass es nicht immer allen passt.

An die Essenszeiten, zu denen man möglichst pünktlich erscheinen soll, ist auch sein Tagesablauf gebunden, aber das macht ihm nichts aus. Er findet es gut, wenn der Tag durchstrukturiert ist. So fährt er nach dem Frühstück meistens mit seinem Elektroroller durch den Park des Geländes, nach dem Mittagessen macht er oft einen Mittagsschlaf. Ansonsten hört er in seiner Freizeit gerne Volksmusik. Engels gehört generell nur deutsche Lieder, er ist damit aufgewachsen. Englisch spricht er nicht. Beim der Zehnjahresfeier im Heim vor wenigen Wochen gab es Blasmusik. Das gefiel ihm besonders.

Doch Engels lebt nicht nur im Pflegeheim, er schaut als Mitglied des Heimbeirats nach dem Rechten. Dadurch trifft er sich auch mit Dirk Spohd, dem Leiter des evangelischen Alten- und Pflegeheims "Wir haben ein tolles Verhältnis", betont Engels. Im gleichen Zug lobt Engels auch die Pfleger. Denn obwohl vor allem in der Ferienzeit das Personal knapp ist, werde man trotzdem gut versorgt. Das einzige, was Engels im Heim etwas fehlt, sind einerseits junge Menschen, hauptsächlich aber Freunde.

Ilse Emmerich wohnt seit der Eröffnung des betreuten Wohnens in Gröbenzell in ihrer Wohnung, um die sie sich im Wesentlichen noch selbst kümmert. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Zwar gibt es beim Essen meist eine gute Gesprächsrunde, aber das sind für ihn maximal "Bekannte". Das liegt, wie er findet, teilweise daran, dass viele der Bewohner gerontopsychiatrisch verändert sind. Das heißt, sie leiden zum Beispiel an Demenz. Das ist oft auch der Grund für den Umzug ins Heim.

Etwas verbittert erwähnt er in diesem Zusammenhang, dass für die Heimbewohner das die letzte Bleibe ist, in der sie bis zum Lebensende verweilen. Weshalb viele Bewohner geistig abbauten und keine guten Gesprächspartner mehr seien. Engels bedauert es, keine Angehörigen mehr zu haben, weshalb er seine Energie in seine Position als Heimbeirat steckt. Die Pfleger sind für ihn zur Ersatzfamilie geworden. Deshalb sei der Einrichtungsleiter für Engels fast wie ein Freund.

"Ein Heim kann eine Familie und Freunde nicht ersetzen", beteuert Dirk Spohd. Allerdings versucht das Pflegeheim den Bewohnern einiges zum Ausgleich zu bieten. Zwölf Mitarbeiter sind für die Planung von Aktivitäten zuständig. Das sind regelmäßige Veranstaltungen, wie das gemeinsame Singen, aber manchmal auch etwas Besonderes Kegeln zum Beispiel.

Selbst bestimmtes Leben, einen eigenen Haushalt führen, das ist für viele Heimbewohner nicht mehr möglich. Wer im Alter aber noch Wert darauf legt, sich fit genug fühlt, aber dennoch die Sicherheit eines Pflegedienstes schätzt und die nötige Investition tätigen kann, der wird sich möglicherweise für das Betreute Wohnen entscheiden. So wie Ilse Emmerich, die im betreuten Wohnen an der Olchinger Straße in Gröbenzell lebt. Und zwar seit dem 15. September 2009, dem Tag der Eröffnung, lebt sie dort. Emmerich bewohnt ein schön eingerichtetes Apartment mit Balkon im zweiten Stock des Wohnheims. Dort ist sie noch weitgehend selbständig. Sie kocht, sie bügelt und geht selbst zum Einkaufen.

Nur das Putzen kann sie mit 97 Jahren nicht mehr übernehmen. Dazu muss ihre Putzfrau kommen. Emmerich ist völlig zufrieden mit ihrer Situation: "Wer da meckert, das weiß ich nicht.".

Den größten Teil ihrer Freizeit verbringt sie mit Fernsehen, Stricken und ab und an einem Spaziergang am nahe gelegenem Gröbenbach. Da größere Unternehmungen für sie sehr anstrengend sind, bleibt sie ihn ihrem Umfeld in Gröbenzell. Nur wenn ihre Kinder sie besuchen, fährt sie mit diesen gelegentlich weg. Die abendliche Kanaster-Runde, die jeden Montag und Mittwoch im Café des Gebäudes stattfindet, ist für sie allerdings ein fester Termin.

Das Café besuchen aber nicht nur die Be Anwohner. "Es kommen auch viele Menschen von außerhalb", berichtet Lutz Schwarze, Leiter der Gröbenbach GmbH, die Trägerin des Hauses. Die alten Menschen seien nicht abgeschottet vom Rest der Welt. "Das lockert die Stimmung auf." Auch Ilse Emmerich freut sich, wenn junge Mütter mit ihren Kindern ins Café kommen.

Schwarze sagt, ihm sei schon bei der Planung die zentrale Lage des Wohngebäudes wichtig gewesen, damit der Weg zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem nächsten Supermarkt für die Senioren nicht zu weit sei und sie teilhaben könnten am öffentlichen Leben. Ein weiterer Aspekt, den er sehr betont, ist die Einrichtung der Wohnungen. So besitzt jede Wohnung einen Notfallknopf, mit dem die Bewohner die Hausverwaltung alarmieren können. Diese wird in der Anlage am Gröbenbach vom Oekumenischen Sozialdienst Gröbenzell übernommen.

Herbert Engels genießt die Leistungen des evangelischen Alten- und Pflegeheims in Eichenau. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Notfallbereitschaft ist eine der Grundleistungen, die von den Bewohnern im Betreuungsvertrag bezahlt werden muss. Weitere "Wahlleistungen", wie die Unterstützung im Haushalt, können dazu gebucht werden. Gleichwohl ist betreutes Wohnen nur bis zu einer gewissen Pflegestufe möglich, die Grenze ist jedoch in jeder Pflegeeinrichtung individuell gesetzt. Für alle Fälle über einer bestimmten Stufe ist mehr Betreuung notwendig, die nur in einem Altenheim geleistet werden kann. Schwarze hatte bereits einen Pflegefall mit Stufe drei in einem seiner Apartments.

Wenn sie nicht gerontopsychiatrisch beeinflusst sind, bevorzugen es viele Senioren ihre Gewohnheiten beizubehalten. Auch Hannelore Jägersberg empfindet so. Sie kann sich nicht vorstellen, aus ihrer Wohnung auszuziehen, zumal sie mit ihren 73 Jahren "mit beiden Füßen auf dem Boden steht", wie sie sagt. Außerdem ist sie der Meinung, das viele Pfleger unhöflich seien und nicht den nötigen Respekt mitbrächten. Ihnen fehle oft die Geduld und das Verständnis für das Verhalten von dementen beziehungsweise alten Menschen. Diese Erfahrung hat sie aus dem Bekanntenkreis mitbekommen. Deshalb sind ihr Einrichtungen für Senioren zuwider. Sie will ihren Lebensabend in der eigenen Wohnung, die sie seit 1988 besitzt, verbringen.

Jägersberg ist Selbstversorgerin. Bis vergangenes Jahr war sie noch als Putzkraft tätig. Sie ist nach wie vor sehr aktiv und weiterhin viel unterwegs. Daher würde sie sich durch die Bindungen, die zwangsweise durch das Leben in Altersheimen entstehen, eingeengt fühlen. In ihrer Freizeit fährt sie regelmäßig zum Flohmarkt nach München. Sie singt auch gerne, hat schon in ihrer Kindheit mit den Eltern viel gesungen hat. Diese Leidenschaft kann sie noch heute ausleben. Sie besucht jeden Montag den Gesangsverein "Harmonie". "Ein paar junge Stimmen würden dem Chor aber nicht schaden", sagt sie kritisch.

Mit ihren 73 Jahren ist sie nach wie vor unternehmungslustig und nimmt sich nur am Wochenende mal eine Auszeit. Auf diese Leben kann sie nicht verzichten. Auf ein Leben in einem Heim dagegen schon.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: