SZ-Serie: "Inklusion", Folge 8:Einer von acht

Lesezeit: 4 min

Der Fürstenfeldbrucker Hagebaumarkt kooperiert mit der Behindertenwerkstatt der Caritas. Dadurch ist es möglich, dass der 25 Jahre alte Christian Julier einen Job in einem Betrieb des ersten Arbeitsmarkts hat

Von Katharina Knaut, Fürstenfeldbruck

Umsichtig manövriert Christian Julier den Handwagen durch die schmalen Gänge. Links und rechts von ihm türmen sich Gartenartikel. Nur durch langsame und vorsichtige Bewegungen kann er vermeiden, dass der große Karton auf dem Wagen das Sortiment mit sich reißt. Bei den Gartengeräten bleibt er schließlich stehen. Mit einer kraftvollen Bewegung hebt er eine Kreissäge aus dem Karton und trägt sie zu dem Regal, in dem sich bereits weitere Artikel dieser Art stapeln. Eben wie ein ganz normaler Einräumer an einem ganz normalen Tag in einem ganz normalen Hagebaumarkt. Juliers Bewegungen sind bedächtig, ein wenig langsamer als die routinierten Handgriffe seiner Kollegen. Bei der Suche nach dem richtigen Platz braucht er länger, sein Sprechen ist bemühter. Auch wenn er lächelt hebt er sich von den übrigen Mitarbeitern ab. Es ist viel strahlender.

Christian Julier ist seit seiner Geburt geistig behindert. Seine kognitiven Leistungen liegen unter denen eines "gesunden" Menschen. Trotz seiner Einschränkung steht er seit Januar beim Hagebaumarkt Fürstenfeldbruck unter Vertrag. Er ist Mitglied der Behindertenwerkstatt Fürstenfeldbruck, einer Einrichtung der Caritas, die Behinderte in eigenen Werkstätten beschäftigt. Diejenigen, die sich dafür eignen, können auch in externen Betrieben auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Zurzeit nehmen acht Mitglieder der Werkstatt diese Möglichkeit wahr.

Christian Julier räumt im Hagebaumarkt Fürstenfeldbruck Regale ein. (Foto: Günther Reger)

Seine Arbeit macht dem 25-Jährigen Spaß, besonders gefällt ihm das Einräumen. "Am liebsten mag ich Fahrräder", erzählt er, "und Teppiche! Da gibt es so viele verschiedene Arten." Julier muss auch Artikelnummern überprüfen und ist dafür zuständig, dass Kartons und Folien ordentlich entsorgt werden.

Der junge Mann arbeitet selbständig. Nur in den ersten Wochen wurde er von einem Betreuer begleitet, mittlerweile findet er sich zwischen den hohen Regalen, wo sich sonst immer mal wieder Kunden völlig verlaufen, ganz gut alleine zurecht. "Wenn jemand fragt, wo was ist, dann weiß ich das." Ist es aber eine Frage, bei der Julier nicht weiterhelfen kann, verweist er die Kunden an seine Kollegen. Als ein Mann ihn auf die Rückgabe von Fliesen anspricht, strahlt Julier ihn an und führt ihn prompt in Richtung Informationstand. "Über unseren Christian habe ich noch nie Beschwerden gehört", sagt Marktleiter Florian Korbginski. Das habe er auch schon anders erlebt. Mit einem Mitarbeiter, der hörbehindert sei, seien einige Kunden unzufrieden gewesen. "Wenn die Menschen ihn außerhalb seines Blickfeldes angesprochen haben, hat er nicht darauf reagiert und ist weitergegangen, einfach weil er sie nicht gehört hat. Das hat die Kunden natürlich irritiert." Ein weiteres Problem ergab sich bei der Arbeit im Lager. "Er hat nicht gehört, wenn Mitarbeiter mit dem Wagen gekommen sind. Das kann sehr gefährlich werden." Auf Dauer habe die Zusammenarbeit einfach nicht funktioniert.

"Inklusion ist eine Sache von Eignung und Neigung", erklärt Ulrich Riendl, Leiter der Behindertenwerkstätte in Fürstenfeldbruck. "Man muss schon schauen, dass die Menschen mit einer Behinderung auch für den Betrieb geeignet sind." Das Unternehmen sei schließlich darauf angewiesen, dass alles ohne Komplikationen funktioniert. Bei der Caritas achte man darauf, wer in eine Außenstelle komme. "Wenn jemand in einem Unternehmen anfängt und nicht geeignet ist, verlieren wir vielleicht den Platz."

Er bringt Waren aus dem Lager. (Foto: Günther Reger)

In Ketten wie Aldi oder Lidl gebe es genügend Routinearbeiten, die auch ein Mensch mit einer Behinderung verrichten könne, meint Korbginski. Er findet, es sollten wesentlich mehr Unternehmen Menschen mit Behinderung beschäftigen. Der Hagebaumarkt ist die einzige Firma in Fürstenfeldbruck, die mit der Behindertenwerkstatt kooperiert. Die übrigen sieben Behinderten, die außerhalb der Werkstatt angestellt sind, arbeiten in sozialen Einrichtungen. Warum so wenige Betriebe bereit sind, sei die mangelnde Information, meint Korbginski. "Man hat einfach keinen Bezug zu diesem Thema, wenn man nicht selbst damit in Berührung steht." Zu Julier kamen sie beispielsweise durch eine Stammkundin, die bei der Caritas arbeitet und sie bei einem Einkauf auf das Thema ansprach. "Sie fragte, ob wir uns vorstellen könnten, jemanden aus der Werkstatt einzustellen", erinnert sich Korbginski. Julier absolvierte ein Praktikum, das zeigen sollte. Danach wurde der Arbeitsvertrag geschlossen. Julier arbeitet an fünf Tagen in der Woche für jeweils sieben Stunden, die Mittagspause nicht mitgerechnet. Bürokratischen Aufwand hatte Korbginski nicht, da Julier noch unter dem Dach der Caritas läuft. "Sie haben sich um alles gekümmert."

Nachteile sehe er dabei nicht. Für Schulungen der Caritas müsse er Julier zwar freistellen, das bringe ihm aber wiederum Vorteile. "Die Fähigkeiten, die er dort erwirbt, kann er bei uns einbringen." Der Kommunikationskurs im Herbst komme Julier beispielsweise im Umgang mit Kunden zugute, erklärt Korbginski. Unternehmen sehen seiner Meinung nach nur die negativen Aspekte und übergingen dabei die Nischen, die sich bei der Einstellung von behinderten Menschen auftun. "Cewe Color in Germering zum Beispiel setzt Gehörlose in Bereichen ein, in denen es besonders laut ist." Christian Julier eigne sich hervorragend für die Einräumtätigkeit im Hagebaumarkt. "Körperlich ist unser Christian total fit."

Und er kümmert sich auch um die Entsorgung. (Foto: Günther Reger)

Sogar schwere Waren schiebt und hebt er anscheinend ohne jede Anstrengung durch das Geschäft. Und als ein Kollege Julier im Lager vor einem großen Stapel Kartons voller Blumenkästen fragt: "Kannst du das einräumen?", kommt die Antwort prompt und selbstverständlich: "Klar!" Kurze Zeit später zieht Julier eben jenen Berg durch den Laden, als würde er nur aus Luft und Pappe bestehen. Dabei ist er gut gelaunt, wie schon die ganze Zeit über. Begegnet er Kollegen, lächelt er sie an und sie grüßen ihn mit einem fröhlichen "Servus Christian!" Für Julier sind die Kollegen zu Freunden geworden. "Wir treffen uns immer in der Pause, essen und lachen zusammen." Auf die Frage, ob es schon mal Probleme gegeben habe, reagiert er mit konsterniertem Blick und einem deutlichen "Nein".

Die Mitarbeiter bemühen sich auch stets, ihm zu helfen. "Kommst du zurecht?" Der Kollege, der Julier im Lager kurz zuvor die Pflanzentöpfe übergeben hat, gesellt sich zu dem 25-Jährigen, der gerade kleinere Blumentöpfe aufeinanderstapelt. Er eilt auch sofort zur Hilfe, als er sieht, dass Julier ein wenig Schwierigkeiten hat. "Er ist ein total netter Typ", erklärt der Mitarbeiter später. "Und seine Arbeit macht er super. Klar, man kontrolliert ein bisschen mehr, aber das ist alles ok."

Sozial Schwächere sollten im Arbeitsleben mitgenommen werden, findet Korbginski. Er ist der Meinung, dass man nach einer gewissen Anlernzeit Integration möglich ist und dass man es zumindest versuchen soll. "Schließlich kann jeder von Glück reden, der gesund auf die Welt gekommen ist."

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: