Streit um Verkehrspolitik:Straßenbau-Wunschkonzert

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Nach Grünen und Naturschutzverbänden kritisieren auch Bürgerinitiativen den neuen Bundesverkehrwegeplan. Sie fordern, den Ausbau der S 4 zu berücksichtigen - wie das auch drei große Kommunen tun

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Kritik am Bundesverkehrswegeplan im Landkreis wird stärker. Der Stadtrat von Puchheim hat nach Bruck und Eichenau als drittes Kommunalparlament gefordert, den Ausbau der S 4 in das Werk aufzunehmen. So lautet auch die Forderung der Bürgerinitiative "S-4-Ausbau jetzt", die auf die überregionale Bedeutung der Strecke hinweist. Die Grünen rügen die Bevorzugung des Straßenbaus. "Legt man die gleichen Maßstäbe an, müssten auch der Ausbau der B 2 und der B 471 runtergestuft werden", sagt die Brucker Stadträtin Alexa Zierl.

Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans enthält die Ausbauten der zwei Bundesstraßen im Landkreis sowie der Autobahn bei Germering. Genannt wird die Elektrifizierung der Bahn zwischen Geltendorf und Lindau. Ausdrücklich abgelehnt wird ein Ausbau der S 4. Diesem Projekt wird ausschließlich lokale Bedeutung zugeschrieben. "Die Strecke hat überregionale Bedeutung wegen des Fernverkehrs in die Schweiz", hält Mirko Pötzsch dagegen, ein Sprecher der Bürgerinitiative.

Die Einspruchsfrist für den Bundesverkehrswegeplan läuft an diesem Montag, 2. Mai ab. Einwände werden von der Bürgerinitiative, den Grünen und einigen Kommunen eingereicht. Der Eichenauer Gemeinderat stimmte einem Dringlichkeitsantrag der SPD zu, zu prüfen, ob eine Aufnahme der Linie in den Bundesverkehrswegeplan zu einem schnelleren Ausbau der Bahnstrecke München-Lindau führen könnte. In Fürstenfeldbruck, in Puchheim und im Kreistag brachten die Grünen Anträge ein. In Bruck votierte die Mehrheit gegen die Stimmen der CSU dafür, den Schienenausbau entweder zum vordringlichen Bedarf zu erklären oder aber als Teil der Elektrifizierung zu behandeln. Einhellig fiel das Votum im Puchheimer Stadtrat aus. "Die Zunahme des Fernverkehrs ist ohne den Ausbau der S 4 nicht anzuwickeln", erklärt Grünen-Fraktionssprecher Manfred Sengl. Der zweite Bürgermeister Rainer Zöller (CSU) weist daraufhin, dass das bayerische Kabinett sich für die Aufnahme der S 4 stark machen wolle.

Die Argumentation der Kritiker ist einhellig: Die Elektrifizierung der Strecke nach Lindau soll den Fernverkehr in die Schweiz beschleunigen und die Kapazitäten erhöhen, auch für den Regionalverkehr ins Allgäu. Harald Strassner, bei der DB Netz für die Planung der langfristigen Struktur zuständig, hatte der SZ im Herbst 2014 erklärt, dass diese Kapazitäten nicht genutzt werden könnten, solange der Engpass auf der S-Bahn-Linie 4 besteht.

Die Bewertung, die das Bundesverkehrsministerium vorgenommen habe, sei einfach falsch, erklärt Zierl. Im übrigen würde "mit zweierlei Maß gemessen". Bei den beiden Bundesstraßen sei das Ministerium auch zu dem Schluss gekommen, sie hätten keine großräumige Bedeutung. Deren Ausbauten gelten jedoch als vordringlich, die Bahnlinie nicht. Sie kritisiert die Berechnung, die diese Ungleichbehandlung mit begründet. Eine Autoverbindung von Haus zu Haus gelte als defizitär, wenn die Fahrzeit etwa zwischen Fürstenfeldbruck und München, länger als 45 Minuten dauert. Von einer Stunde an sei sogar von sehr defizitär die Rede. Bei Verbindungen mit dem Zug darf es dagegen eine Viertelstunde länger dauern. Zierl fordert deshalb, dass die Schienenprojekte noch einmal neu berechnet werden. Der Ausbau der Bundesstraßen im Landkreis sollte als weniger wichtig eingestuft werden.

Nur so sei das Ziel, den Ausstoß von Schadstoffen und Treibhausgasen zu reduzieren, das im Bundesverkehrswegeplan auch genannt wird, überhaupt zu erreichen, sagt Zierl, die Vorsitzende des Vereins Ziel 21 ist, der sich die Energiewende auf die Fahnen geschrieben hat.

Das Brucker Verkehrsforum spricht von einem "Wunschkonzert des Straßenwahns". Das gigantische Ausbauprogramm mit allerlei Umgehungsstraßen und Ausbauten werde den Verkehrskollaps im Raum München nicht verhindern, sondern wesentlich beschleunigen, kritisiert Thomas Brückner. Er wirft dem Bundesverkehrsminister und der bayerischen Staatsregierung Versagen vor. Auf der S 4 würden heute weniger Züge verkehren als vor 25 Jahren, aber die Zahl der Fahrgäste habe sich verdoppelt. Viele Pendler würden deshalb wieder auf das Auto umsteigen. Das Ergebnis seien Staus auf der neu ausgebauten B 2 vor Puchheim.

Die Kritik wird vom Umweltbundesamt unterstützt. Der Bundesverkehrswegeplan verfehle elf der zwölf im eigenen Umweltbericht gesetzten Ziele, heißt es in einer Stellungnahme. Die Präsidentin fordert, dass mindestens 60 Prozent der Finanzmittel für den Ausbau der Schiene verwendet werden müssten. Bislang seien nur 42 Prozent vorgesehen. Bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) scheinen solche Aspekte auf taube Ohren zu stoßen. Die Bürgerinitiative "S-4-Ausbau jetzt" hatte ihm einen offenen Brief geschrieben. "Wir haben bisher keine Antwort bekommen", sagte Pötzsch.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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