Steinmetz Bernhard Scholer:Friedhöfe mit Zahnlücken

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Immer weniger Menschen entscheiden sich für einen aufwendigen Grabstein. Stattdessen geht der Trend zu pflegeleichten Stätten und Urnengräbern - aber auch zur Vorsorge

Von Florian J. Haamann

Natürlich gibt es sie immer noch, die Angehörigen, die vor Allerheiligen die Gräber ihrer Angehörigen aufwendig herrichten. Doch wer in diesem Tagen einen der Friedhöfe im Landkreis besucht, dem fällt auch auf, dass der Anteil der Grabmäler zurück geht, während es immer mehr und mehr Urnengräber gibt. "Die Grabkultur lässt sehr zu wünschen übrig, der Zustand der Friedhöfe ist oft ganz schlecht, die sehen aus wie Zahnlücken. Wo früher 50 Steine waren, fehlen heute 20, das schaut schlimm aus. Aber die kriegen die Plätze nicht mehr voll", sagt Bernhard Scholer. Und der 55-jährige Germeringer weiß, wovon er spricht. Als einer von vier Steinmetzen im Landkreis ist er für die Gestaltung von Grabmälern genauso zuständig wie für die Beschriftung der Platten an Urnengräbern.

Mittlerweile löse er mehr Gräber auf als er Steine aufstelle. Auch die Nachfrage nach Renovierungsarbeiten zu Allerheiligen sei stark zurückgegangen. "Früher, als ich auf dem Nordfriedhof in München gearbeitet habe, haben wir in diesen Tagen 200 Grabsteine geputzt, heute sind es vielleicht noch fünf bis sechs. Den Leuten ist es oft egal, die sagen sich, mei, dann ist es halt dreckert". Etwas optimistischer schätzt Hans-Peter Dillitzer die Lage ein, dessen Betrieb direkt am Fürstenfeldbrucker Waldfriedhof liegt. "Dafür, dass der Trend vom normalen Grabmal weg geht, war die Auftragslage gar nicht so schlecht. Es ist immer noch der Termin, an dem das Grab fertig sein soll und die meisten Leute auf dem Friedhof sind".

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

Mit 15 hat Bernhard Scholer seine Lehre begonnen, Steinbildhauerei war damals ein wichtiger Bestandteil. Heute ist diese Arbeit kaum noch gefragt.

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

"Früher haben wir in diesen Tagen 200 Grabsteine geputzt, heute sind es vielleicht noch fünf bis sechs. Den Leuten ist es oft egal", sagt Scholer.

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

Vom Zuschneiden der Steine bis hin...

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

...zur Anfertigung der Beschriftung...

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

...kümmert sich der Steinmetz um alles.

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(Foto: Voxbrunner Carmen)

Wobei mittlerweile vor allem die Bronzeschriftzüge gefragt sind, denn die braucht es auch bei einem Urnenbegräbnis. Fotos: Carmen Voxbrunner

Vor etwa 20 Jahren, da sind sich beide einig, hat der Wandel weg vom schönen Grabmal hin zum einfachen, praktischen Grabstein und zur Urne begonnen. Damals, erzählt Scholer, habe er vielleicht sieben bis acht schöne Grabmale pro Jahr gestaltet, heute seien es alle zwei Jahre eines. "Was wir heute aufstellen, ist meist ganz normaler Durchschnitt, nichts Künstlerisches. Früher war überall zumindest ein bisschen Bildhauerei dabei. Wenn einer Segler war, dann hat er sich vielleicht ein Boot auf den Stein gewünscht oder ein Bauer Äcker und Ähren", sagt Scholer: "Heute kommt der Name drauf und Schluss, fertig. Ich finde das wirklich schade. Es war schon immer etwas Schönes, im Winter mal mehrere Monate an einem schönen, ausgefallenen Grabmal arbeiten zu können". Vielleicht mal ein Ornament, eine Rose oder ein Kreuz, das sei schon noch gefragt. "Aber die meisten Leute wollen heute pflegeleichte Materialien und Oberflächen. Wer das will, wählt meist ein Hartgestein wie etwa Granit. Das ist für Bildhauerarbeiten aber eher undankbar. Aber auch die Figuren, egal ob aus Stein oder Bronze sind stark rückläufig", ergänzt Dillitzer.

Einen Grund für den Rückgang der Nachfrage für aufwendige Grabsteinen sehen beide in den modernen Familienstrukturen. Wenn die Kinder nach der Ausbildung in eine andere Stadt ziehen und nur noch ein oder zweimal im Jahr ihre Eltern besuchen, sei es nur konsequent, wenn sie später ein pflegeleichtes Urnengrab einrichten. "Die Kinder haben oft keinen Bezug mehr zu ihren Eltern, das hat sich einfach total gewandelt, auch auf dem Dorf draußen", sagt Scholer, der mit 15 Jahren seine Ausbildung begonnen und später den Betrieb seines Vaters übernommen hat. Auch Dillitzer führt den 1913 gegründeten Familienbetrieb weiter. Mit dem Rückgang der klassischen Grabsteine haben beide das Angebot ihrer Firmen erweitert, bieten auch Innen- und Badausbau an. Auf 50 bis 60 Prozent des Gesamtvolumens schätzen beide die Grabarbeit ein.

Der Rückgang der familiären Bindungen und der Wunsch vieler Angehöriger, einfach nur ein pflegeleichtes Grab zu haben, hat zuletzt zu einem neuen Trend geführt. "Ich hatte gerade ein Ehepaar da, das gesagt hat, wir wissen nicht, was unsere Kinder machen, deswegen wollen wir zu unseren Lebzeiten unsere Grabsteine kaufen", erzählt Scholer. Etwa zehn solcher Vorbestellungen habe er aktuell, die Steine sind fertig und eingelagert. Im Todesfall ruft der Bestatter direkt bei ihm an, und Scholer stellt den Stein auf. Auch Dillitzer kennt solche Anfragen: "Es sind oft ältere Leute bei mir, die sagen, das Grab bedeutet uns etwas, deswegen machen wir schon mal alles fertig. Auch weil sie ihre Kinder nicht belasten wollen."

Für Scholer sind die veränderten Familienstrukturen aber nicht der einzige Grund für den Wandel der Grabkultur. "Früher gab es nicht diese Geiz-ist-geil-Mentalität". Dabei sei ein schöner Grabstein, der im Schnitt etwa 5000 Euro koste, auf die Zeit, die er dann steht, nicht wirklich teuer. Vor allem eines regt den 55-Jährigen auf: "Die Leute geben für ihre Tiere mehr aus als für Menschen. Gehen Sie mal auf den Tierfriedhof in Obermenzing, der ist teilweise schöner als unsere Friedhöfe. Da sind Grabmale, da sage ich ,wow'. 8 000 Euro für ein Hundegrab sind da keine Seltenheit. Aber bei den Angehörigen sind es dann 200 Euro für ein Bronzeblatterl - wie ein Klingelschild am Boden".

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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