Schwierige Wahrheitssuche:Zweifel an Vergewaltigung

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Gericht fordert Glaubwürdigkeitsgutachten der Zeugin

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Der Vorwurf einer brutalen Vergewaltigung auf einem Friedhof beschäftigt das Jugendschöffengericht in Fürstenfeldbruck weiter. Die 16-jährige Zeugin, die ihren 19 Jahre alten Exfreund der sexuellen Nötigung beschuldigt, war am Mittwochvormittag zur Fortsetzung der Hauptverhandlung erschienen. Dafür bedurfte es zweier Polizisten, die sie von ihrem Wohnort zum Gerichtsgebäude brachten. Immerhin hätte die junge Frau bereits beim ersten Verhandlungstermin Anfang Oktober aussagen sollen, war aber vor Gericht nicht erschienen. Angaben zur vermeintlichen Tat hatte damals nur der Beschuldigte gemacht. Er hatte den Vorwurf der Vergewaltigung abgestritten und beteuert, seine Exfreundin habe den gewaltsamen Geschlechtsakt von ihm verlangt. Die Aussage der jungen Frau erzählt freilich eine andere Geschichte.

Gewalt habe die kurze Beziehung der beiden Jugendlichen bereits von Anfang an geprägt, sagt die junge Frau im Zeugenstand. Der Angeklagte habe sie in der Vergangenheit regelmäßig und ohne Anlass geschlagen. "Er empfand es als Spaß, hat gelacht", sagt die Zeugin. Die Beziehung sei generell "kritisch" gewesen, deswegen habe sich das Pärchen während der einen Monat dauernden Beziehung immer wieder getrennt. Nachdem die damals noch 15-Jährige die Beziehung endgültig beenden wollte, habe sie noch versucht, ihren Exfreund zu trösten. Nach einem Spaziergang habe das Paar gemeinsam einen Joint geraucht und sich anschließend auf eine Friedhofsbank gesetzt, um zu reden. Der 19-jährige Germeringer soll seine Freundin auf seinen Schoß gezogen und angefangen haben, sie zu küssen. Sie habe versucht, aus der Situation zu entkommen und gesagt, dass sie nach Hause müsse. Dann soll die Situation gekippt sein. Den Aussagen der 16-Jährigen zufolge hat der Germeringer zu ihr gesagt: "Wenn ich etwas will, dann kriege ich es auch." Er habe das Mädchen schließlich festgehalten und brutal vergewaltigt. Wie sie die Tat erlebt hat, schildert die junge Frau unter Tränen.

Ob sie ihrem damaligen Freund gesagt habe, er solle aufhören, und ob sie die Möglichkeit gehabt habe, wegzulaufen, will die Richterin wissen. Dass sie den Sex nicht wollte, habe sie klar gemacht, sagt das Mädchen, weglaufen habe sie nicht können. "Ich hatte Angst, konnte mich nicht bewegen." Der Verteidiger des jungen Mannes hakt nach. Er will wissen, warum sie die Beziehung nicht schon nach den ersten Handgreiflichkeiten beendet hat, warum sie sich nicht zuvor schon gewehrt hat, warum sie mit jemandem, vor dem sie offenbar Angst hat, abends auf einen Friedhof geht. "Das war blinde Liebe, das versteht man nicht", sagt sie. Sie habe bis zuletzt für ihren Freund, dem es schlecht ging, da sein wollen. Schluchzend erzählt die 16-Jährige: "Ich wollte ein guter Mensch sein und das hat mir gezeigt, dass man kein guter Mensch sein sollte, um auf dieser Welt zu überleben." Auch nach der Aussage seiner Exfreundin bleibt der Angeklagte bei seiner Aussage. Der Geschlechtsakt sei einvernehmlich gewesen. Das Paar habe sich danach sogar mit einem Küsschen voneinander verabschiedet. Die beiden werfen sich gegenseitig vor, zu lügen.

Nachdem die Staatsanwältin erklärt, sie würde gerne die Mutter der 16-Jährigen hören, verliest Vorsitzende Richterin Anna Kappenschneider zunächst die Aussage, die die Mutter damals bei der Vernehmung durch die Polizei gemacht hatte. Allerdings wirft das Protokoll weitere Fragen auf. In einigen Punkten scheinen sich Mutter und Tochter gar zu widersprechen. So hatte das Mädchen etwa angegeben, der Mutter erst spät von der Tat erzählt zu haben. Erst, als diese sie auf ihren sich immer weiter verschlechternden Allgemeinzustand angesprochen hatte. Die Mutter aber gab bei der Polizei an, die Tochter habe sich ihrem Stiefvater zuerst anvertraut, und sie habe über ihn von der Vergewaltigung ihrer Tochter erfahren. Auch das gute Verhältnis, das die junge Frau zu ihrem Stiefvater haben will, wird durch ein Schreiben des Mannes ans Gericht in Frage gestellt. In dem Brief, den Kappenschneider ebenfalls während der Verhandlung vorliest, sagte dieser, die 16-Jährige verhalte sich häufig selbst- und auch fremdgefährdend. Er berichtet auch von Drogenproblemen, dem schwierigen Verhältnis zu seiner Stieftochter und bittet sogar um professionelle Hilfe für die junge Frau, die zudem an wiederkehrenden Krampfanfällen leidet.

Als der Angeklagte gefragt wird, ob die Aussagen der wegen Diebstahls vorbestraften 16-Jährigen richtig sind, räumt er ein: "Sie hat Dinge gesagt, die teilweise nicht stimmen, sie hat Dinge verdreht und übertrieben." Auch der Germeringer ist bereits mehrmals wegen Diebstahls verurteilt worden. Am Ende der Verhandlung steht die Frage im Raum, wer die Wahrheit sagt und wer lügt. Die Zeugenaussage der 16-Jährigen sei "in gewisser Weise beeindruckend" gewesen, meint der Verteidiger. "Deswegen muss sie aber nicht wahr sein." Auch vor dem Hintergrund der Erkrankung der Zeugin fordert er ein Glaubwürdigkeitsgutachten. Eine Forderung, der die Richterin nachkommt. Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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