Schlag für Pendler:Einmal Leberkässemmel mit Seelenmassage

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14 Jahre lang haben Michael und Silvia Löcker die Lokstation am Brucker S-Bahnhof betrieben. Ende Juli sperren sie zu. Denn die Bahn will den Kiosk zum Servicestore umwandeln. Die Öffnungszeiten werden erweitert, die angenehme Atmosphäre aber dürfte dann Vergangenheit sein

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Er ist Kabarettist, Seelenmasseur, Kummerkasten. Nebenbei kümmert sich jener Kummerkasten auch um Sandwiches und die aktuelle Tageszeitung. Bald muss es heißen: "kümmerte". Denn Michael Löcker sperrt die "Lokstation" in ein paar Wochen zu. Dann geht im Kiosk am Brucker S-Bahnhof nach 14 Jahren erst mal das Licht aus. Die Bahn will dort möglichst noch 2018 einen DB Servicestore eröffnen. Für Löcker hat es auch etwas Gutes: Keine 13-Stunden-Tage mehr, keine stundenlange Pendelei, keine Staus. Er hat selbst die Initiative ergriffen und zum 31. August gekündigt, bereits Ende Juli wird er dichtmachen. Lieber so, als dass er den umsatzschwachen Sommer noch mitnehmen muss und ihn die Bahn dann vielleicht im Herbst vor die Tür setzt.

In dem kleinen Büro neben dem Bahnhofskiosk zieht der 59-jährige gebürtige Salzburger bedächtig am dünnen Zigarillo. Er hat graue Haare und die farblich dazu passenden Ohrenstecker sowie eine hippe Brille. Löcker hat gerade keine Lust, den Alleinunterhalter herauszukehren. Er wirkt gefasst, sogar etwas schicksalsergeben. Eines macht ihm durchaus Sorgen: Er selbst steht die paar Jahre zur Rente schon durch, aber seine fünf Teilzeitbeschäftigten gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Und die Stammkunden - "um die tut es mir wirklich richtig leid". Der eine oder andere dieses Kunden hadert mit dem Schicksal und natürlich auch mit der Bahn. Was man da in puncto Kundenfreundlichkeit erwarten dürfe, sei ja klar, sagt einer, der jeden Morgen auf dem Weg nach München vorbeikommt.

Vor allem frühmorgens und nach Schulschluss ist die Lokstation am Bahnhof eine beliebte Anlaufstelle. (Foto: Carmen Vobbrunner)

"Der neue Betreiber wird einen DB Servicestore eröffnen", teilt ein Bahnsprecher denn auf Anfrage auch mit. Servicestore - klingt moderner als Lokstation. Aber wer will so was Modernes, wenn da vielleicht eine Service-Fachkraft hinterm Tresen steht und kein Michael Löcker? Es werde typischen Reisebedarf wie Backwaren, Getränke, Zeitschriften auch Bahnfahrkarten geben, lockt die Bahn. Ob es Seelenmassage gibt, wie sie Löcker zur Leberkässemmel gleich mitserviert, bleibt offen. Das hängt vom neuen Pächter ab, und der steht ebenso wenig fest wie der Termin der Wiedereröffnung. Der Pachtvertrag mit dem Reisebüro nebenan sei nicht betroffen, auch für die öffentlich zugänglichen Toiletten ändere sich nichts, teilt die Bahn mit. Ähnliche Servicestores gibt es bereits in Puchheim, Germering und Olching. Schon toll, dass der in Puchheim von 5 bis 20 Uhr auf hat und an Wochenenden von 8 bis 18 Uhr - oder wie in Germering von 6 bis 19 und an Wochenenden von 8 bis 14 Uhr. Aber rechnen werde sich das für den künftigen Betreiber in Bruck schwerlich, prophezeit Löcker. Denn am Wochenende ist am Brucker Bahnhof erfahrungsgemäß eher tote Hose. Für Löcker kam eine Bewerbung für das DB-Franchise-System auch aus anderen Gründen nie infrage. Dieses nämlich schreibt den personalintensiven Ticketverkauf ebenso vor wie Lieferanten - die auf diese Weise höhere Preise durchsetzen können als der Großhandel. Ein Problem in Bruck sei generell, dass Busse so knapp auf die S-Bahnen abgestimmt sind, dass viele Fahrgäste gleichzeitig ankommen, aber ganz wenig Zeit haben, etwas zu kaufen.

Löcker war früher Müllerbrot-Bezirksleiter, betrieb einen Backshop am Ostbahnhof, tourte durch Holland und Frankreich und blieb letztlich in Bruck hängen. Kommt nun für den Vater zweier erwachsener Kinder das große schwarze Loch? "Nein, nein", sagt er, beugt sich ein wenig nach vorn und lächelt matt. "Wir waren mit Herz und Seele dabei." Aber es habe auch was Gutes, nicht zuletzt wegen gesundheitlicher Probleme: "Ich mag nicht mehr." Nicht mehr im Winter um 2.30 Uhr aufstehen, nicht mehr um 5 Uhr aufstehen und erst nach Feierabend um 18 Uhr wieder die nächsten hundert Kilometer über die A 99 zurück nach Mühldorf abspulen.

Michael und Silvia Löcker (links) haben dann alle Hände voll zu tun. Der künftige Pächter soll nach dem Willen der Bahn auch an Wochenenden öffnen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Natürlich weiß Löcker, dass es nicht so einfach ist, wie es klingt. Weil ihm seine Leute ans Herz gewachsen sind: Der "Dottore", der um kurz vor acht in der Früh hereinkommt, um seinen Espresso Macchiato zu bestellen - so wie fast jeden Wochentag in den vergangenen 14 Jahren. Der Mann, den er schlicht den "Holzfäller" nennt, der eine Viertelstunde später seinen Cappuccino bekommt. Der Franke, der ohne Name auskommt, aber nicht ohne seine beiden Leberkässemmeln, die er um kurz nach fünf holt. Alex, mit dem man so trefflich Fußball analysieren kann. Oder die kleine Kolonie der Exilösterreicher, die mit Schmäh über Gott und die Welt debattiert.

In der Lokstation gibt es so etwas wie Wiener Kaffeehausatmosphäre, so weit sich das in den schlichten Räumen halt machen lässt. Löcker war es wichtig, Menschen zusammenzubringen, "ob schwarz oder weiß, ob Schulkind oder Rentner, ob Arbeitsloser oder Akademiker". In der Lokstation wurde 14 Jahre lang gelacht und geweint. Jetzt geht dort erst einmal ein wichtiger Anschluss verloren.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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