Den Schatz hat Heidi Finger in ihrem Keller gehoben. In Kisten und Kartons lagen jahrelang grazile Flakons im Dornröschenschlaf. Kaum wahrnehmbar hüllte dieser Duft-Nachlass der vor zehn Jahren verstorbenen Tante sie ein. Am Sonntag sitzt die Olchingerin im Forum der Germeringer Stadthalle hinter zwei Tischen und hat den Schatz auf der weißen Decke vor sich aufgebaut. Heidi Finger ist das erste Mal in ihrem Leben auf einer Parfumbörse. Selbst hat sie sich bislang eher auf das Sammeln von Puppen, altem Spielzeug und Steinen verlegt. Wie viel Geld sie durch den Verkauf der Parfumflakons einnehmen wird, ist zweitrangig. Für sie wäre es Gewinn genug, wenn das Vermächtnis der Tante von einem Liebhaber wertgeschätzt würde.
Nach der Premiere im vergangenen Jahr, zu der fast 200 Besucher gekommen waren, richtet Bettina Bayer-Tetzel wieder die Sammlerbörse mit dem zweifellos treffenden Titel "Ein Quäntchen Duft" in Germering aus. Auf den Tischen der 15 Anbieter drängen sich Kohorten von Glasfläschchen, flankiert von Seifen und Accessoires. Ernsthafte Sammler werden die kleinen Flacons niemals öffnen, sondern sie zu Hause zu ihren Pendants in die Vitrine stellen und sich an ihrem Anblick erfreuen. Öffnen und dran riechen? Geht gar nicht! Zu groß ist die Gefahr, dass dadurch der Verschluss Schaden nimmt und die wertvolle Flüssigkeit verdunstet oder ausläuft. Auf die Welt der Briefmarkensammler übertragen wäre das fast so, als würde einer Schwarzen Eins ein paar Zacken fehlen.
Verkauft werden an diesem Tag in Germering natürlich auch ganz klassische Parfums in handelsüblichen Größen, die hier sogar etwas unter dem normalen Ladenpreis zu haben sind. Und ja, es gibt sogar Gefäße, in denen mit Lebensmittelfarbe getöntes Wasser ganz offiziell echtes Parfum ersetzt - die großen Großfaktice, das sind Deko-"Magnumflaschen". Bettina Bayer-Tetzel hat einige davon im Angebot - hier wunderschön geformte und geschliffene Karaffen für mehrere Hundert Euro, gleich daneben die schlichte Hugo-Boss-Variante, die bereits für 70 Euro zu haben ist. Unverkäuflich ist hingegen ihr zu Hause verwahrter "Le Golliwoog" von Vigny. 1998, nach einem Fernsehbeitrag über eine der Parfumbörsen in Ostdeutschland, tippte ihr ein Mann auf die Schulter und zog zwei dieser seltenen Sammlerstücke aus einer Aldi-Plastiktüte. In den Zwanzigern hatte sie eine Gräfin in Paris erstanden. Auf verschlungenen Wegen gelangten sie nach Dresden und überdauerten dort auf einem Nachtkästchen die Jahrzehnte. Bettina Bayer-Tetzel zahlte dem Mann 1000 Mark, die dieser lieber in eine neue Waschmaschine investieren wollte. In Germering gibt es an diesem Tag günstigere, wenngleich nicht ganz so exklusive Raritäten - etwa die Sonderedition Echt Kölnisch Wasser, die 1972 anlässlich der Olympischen Spiele auf den Markt kam. Wichtig ist auch in solchen Fällen, dass der Originalkarton erhalten ist.
Wie viel Geld die Erbstücke ihrer Tante denn in etwa wert seien, hat Heidi Finger die Experten gefragt, als sie um 8 Uhr in der Früh die Fläschchen und Seifen auf dem Tisch drapierte. Und sie erfuhr, dass dieser Tosca-Flakon wohl trotz des nur noch geringen verbliebenen Inhalts mit um die 150 Euro gehandelt wird, sie für die "Feinste Kinderseife mit Kamillenöl - Originalpreis 1 DM" aber nicht viel erwarten darf. Zwei kleine Miniaturen hat die Olchingerin in den ersten beiden Stunden zum Stückpreis von 15 Euro veräußert und ist damit durchaus zufrieden. "Ich hätte die auch für zwei Euro verkauft", gesteht sie lächelnd ein. "Hauptsache, sie werden nicht weggeworfen." Ebenso wie Börsen-Chefin Bayer-Tetzel hat Heidi Finger ein paar unverkäufliche Favoriten gleich zu Hause gelassen - so auch den Patrizier-Lavendel-Flacon, dessen Duft sie so an die eigene Jugend und die Großmutter erinnert. In den Fünfzigerjahren stand sie auch fasziniert vor den tiefblauen französischen Bourjois-Fläschchen der Großmutter: unerschwingliche, in der Nachkriegszeit ohnehin unerfüllbare Träume. Später wurde "Madame Rochas" ihr Lieblingsparfum, heute ist es eher "First" von Van Cleef & Arpels, das es seit 1976 gibt.
Am Nachbartisch stehen solche Duftwässerchen durchaus auch. Sentimentale Gefühle verbindet der Verkäufer, der ebenfalls aus dem Landkreis kommt, damit aber nicht. Die vielen teils noch originalverpackten Flaschen und Flacons sind eher Last denn Lust: Eine gute Bekannte sei nach Amerika ausgewandert und er versuche nun eben, die Dinger an die Frau oder den Mann zu bringen. "Auch Gesamtverkauf" steht in dicken Lettern auf einem Plakat. "Wenn sich jemand findet, der alles zusammen kauft, gehe ich mit dem Preis notfalls auch noch um die Hälfte runter."
Auf so einen Preisrabatt wartet die neunjährige Marja aus Germering an einem anderen Stand vergeblich. Der Verkäufer erläutert ihr die ganze Palette an Creme-Parfums, alle in hochwertigen und fantasievoll designten kleinen Metallbehältern. Zwei davon - der Bienenstock und der Panther - haben es Marja angetan. Die ersten Stücke für die dann neben den Krippenfiguren zweite Sammlung freilich würden mit je 70 Euro das Siebenfache des monatlichen Taschengelds verschlingen. Deshalb lässt sich Marja noch etwas Zeit für diese Entscheidung. Einstweilen dreht sie noch ein paar Runden durchs Forum. Eine sehr schöne, kleine Messe" sei das, lobt ihre Mutter Sonja Müller, die schon vor einem Jahr hier war und die eigene Parfum-Sammlung gerne noch um den einen oder anderen Flacon bereichern würde.
Nächste Parfumbörse in Germering: 12. März 2017 statt. Informationen unter www.parfumboerse.de