Reden wir über:Bürgermeister als Kanzelredner

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Pfarrer Markus Ambrosy überlässt Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl für einen Tag seine Kanzel. (Foto: Günther Reger)

Pfarrer Markus Ambrosy holt einen Gastredner in den Gottesdienst

interview Von Karl-Wilhelm Götte

Pfarrer Markus Ambrosy (), 51, gibt am Sonntag von 10 Uhr an seine Kanzel für Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl frei. Statt einer Predigt Ambrosys erleben die Gottesdienstbesucher der Auferstehungskirche eine Kanzelrede des Rathauschefs zum Thema "Flüchtling sein". Eritrea steht dabei besonders im Focus. Die Flüchtlinge von dort, die in Puchheim wohnen, sind von der Gemeinde zum Gottesdienst eingeladen worden.

SZ: Herr Ambrosy, warum ist es nötig, dass der Bürgermeister von der Kanzel spricht?

Markus Ambrosy: Nötig ist es nicht, aber wünschenswert. Wir leben in Zeiten, in denen Menschen mit Verantwortung die Gelegenheit bekommen sollten, sich an einem neutralen Ort zu äußern, quasi auch einmal als Mensch und nicht nur als Politiker mit bestimmten Sachzwängen. Die Kirche ist meiner Meinung nach ein passender Ort dafür.

Aber die Predigt ist doch die originäre Aufgabe des Pfarrers...

Ja, deswegen nennen wir es auch Kanzelrede und nicht Predigt. Ich werde an diesem Tag auch keine eigene Predigt halten. Was einen Bürgermeister, auch als Mensch und Christ, bewegt, darf dieses Mal im Mittelpunkt stehen. Wir überlassen ja nicht irgendjemandem die Kanzel. Dass Norbert Seidl spricht, ist im Kirchenvorstand besprochen und ausdrücklich befürwortet worden.

Norbert Seidl ist Katholik. Das macht nichts?

Nein. Puchheim ist grundsätzlich ökumenisch ausgerichtet. Ich habe großen Respekt vor dem Bürgermeister, dass er sich dieser besonderen Herausforderung stellt. Denn das Reden in der Kirche hat eine andere Qualität als im Rathaus, weil es in diesem Rahmen auch um eine Glaubensdimension geht. Und Norbert Seidl ist sich dieser besonderen Verantwortung sehr bewusst.

Was macht eine gute Kanzelrede aus?

Sie darf wie jede gute Rede nicht langweilen. Das, was ich überall lese und höre, muss ich nicht noch einmal in der Kirche hören. Es soll etwas von der Person des Redners und seiner persönlichen Haltung greifbar werden. Gute Rhetorik ist dazu notwendig. Die für eine gute Predigt empfohlenen 20 Minuten darf Herr Seidl dann gerne überziehen.

Wird die Predigt in der Pfarrerausbildung besonders geübt?

Ja, die Homiletik, die Lehre von der Predigt, ihrer Form und ihrer Darbietung, ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. Im evangelischen Gottesdienst ist bis heute die Predigt Kern und Stern der Veranstaltung. Sie ist geradezu ein Synonym für den evangelischen Gottesdienst. Die Predigt sollte anregend und im besten Sinne aufregend sein. Wir sind "Kirche des Wortes", deshalb sollte man auch gut mit Worten umgehen können.

Wird die Kanzelrede Seidls hinterher diskutiert?

Ja, wir haben nach jedem Gottesdienst unser "Kirchencafé". Da wird jedes Mal die gehörte Predigt diskutiert. Und dabei kann es auch schon mal zu kontroversen Diskussionen kommen. Wie schön, wenn eine Predigt nicht einschläfert, sondern aufweckt!

Wie stehen Sie als evangelischer Pfarrer zum Satz "Wir schaffen das" von Kanzlerin Angela Merkel?

Ich bin hin- und hergerissen, ob wir es wirklich schaffen. Einerseits hat mich ihr Ausspruch tief bewegt. Doch andererseits besteht die Gefahr, dass gerade dieser Satz die Kanzlerin schafft und sie ihre Kanzlerschaft kostet. Das wäre ein hoher Preis für einen Akt tiefer Menschlichkeit.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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