Porträt:Herr der hunderttausend Scherben

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Fritz Aneder ist neuer Leiter der Abteilung Frühgeschichte im Museum Fürstenfeldbruck. Dort will er das Depot inventarisieren und ausmisten. Außerdem gilt es die Sammlung zu überarbeiten

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die grauen Kästen, braunen Pappkartons und kleinen Plastikbehälter enthalten weit über 100 000 Überbleibsel aus der grauen Vorzeit des Landkreises. Allein etwa 15 000 Klingen, Spitzen und Abschläge aus der Steinzeit finden sich in den kleinen Räumen hinter den Kulissen des Museums im ehemaligen Kloster Fürstenfeld. Die Leitung der vor- und frühgeschichtlichen Abteilung des Museums hat nun kürzlich Fritz Aneder übernommen. Er ist Nachfolger von Rolf Marquardt, der heuer seinen 80. Geburtstag feierte und deshalb das Amt abgab.

Ausstellung und Depot zeugen vom unermüdlichen Fleiß der Aktiven des Arbeitskreises Vor- und Frühgeschichte im Historischen Verein. Unter der Leitung von Rolf Marquardt und Toni Drexler hat die Gruppe in den vergangenen Jahrzehnten etliche archäologische Grabungen unternommen. Die Frühgeschichte zwischen Alpen und Donau musste neu geschrieben werden. Bis dahin glaubten die Wissenschaftler, bis zur Eroberung durch die Römer sei dieses Gebiet praktisch menschenleer gewesen. Heute wissen wir, dass Nomaden die Gegend schon in der Steinzeit durchstreiften, erste Ackerbauern vor Jahrtausenden auftauchten und in der Bronzezeit Fernhandel getrieben wurde.

Die besten Stücke hat der Arbeitskreis für die ständige Ausstellung zur Vor- und Frühgeschichte im Museum ausgewählt. Sie geben eine Ahnung davon, wie die Menschen nach der letzten Eiszeit im Haspelmoor lebten, wie die Herren auf der Sunderburg hoch über der Amper den Handel mit Zinn und Kupfer kontrollierten, die Römer die Gegend mit einem Netz aus Gutshöfen und Straßen überzogen und schließlich die Bajuwaren auf vergleichsweise niedrigerem Niveau lebten.

Aneder ist 64 Jahre alt, er ist seit einer Grabung 1995 im Haspelmoor beim Historischen Verein dabei und in einer Wohnung im ehemaligen Kloster Fürstenfeld aufgewachsen. Bereits vor zehn Jahren hat er die Leitung des Arbeitskreises von Marquardt übernommen. Der gelernte Flugzeugbauer wird sich in den nächsten Jahren als Abteilungsleiter vor allem damit beschäftigen, jene Relikte zu inventarisieren, die nicht in der ständigen Ausstellung zu sehen sind.

Die Reste von Schwertern, Schilden, Äxten, Ringen, Gürteln oder Schmuckstücken, teilweise wieder zusammengesetzte Keramik sowie Steinplatten aus Ambrae, dem römischen Schöngeising, die man lange für Sarkophagdeckel hielt, sind in der Ausstellung zu sehen. Das Museumsdepot befindet sich in den Nischen hinter den Stellwänden und auf einem Speicher. Dort stapeln sich auf dem Boden und in Regalen Schachteln und Kisten. Manche sind beschriftet. "Esting Grab 9, Große Henkeltasse" ist auf einer zu lesen, "Schlacken Hörbach" steht auf einer anderen. Eine Kiste enthält Dachziegel von einem Jagdhaus der Wittelsbacher bei der Sunderburg aus der Renaissancezeit. In einigen Behältern befinden sich metallene Gegenstände, viele Kisten sind einfach gefüllt mit Scherben und Steinsplittern. Den Inhalt mancher Schachtel kennt Aneder noch gar nicht.

"Die meiste Arbeit macht nicht die Grabung, sondern die Auswertung, die kann Jahre dauern", sagt er. Die Skelette vom Bajuwaren-Friedhof in Emmering sind bis heute nicht untersucht. Gerade analysiert ein Anthropologe die Knochen. Anhand des Strontiumgehalts kann er feststellen, wo der Betreffende aufgewachsen ist und vielleicht das Rätsel von der Herkunft der Bajuwaren lösen helfen. Heute gibt es 19 Theorien darüber, erzählt Aneder. Bloß dass die ersten Bayern aus Böhmen kamen, wie man lange glaubte, gilt inzwischen als eher unwahrscheinlich.

Aneder wird jeden Behälter aufmachen und den Inhalt sichten. Jeder einzelne Gegenstand wird gewogen, fotografiert und beschrieben. Von manchen Funden fertigt Aneder dazu noch Zeichnungen an. Anders verfährt er mit Tonscherben, wie etwa jenen von Terra Sigillata, Reste des Tafelgeschirrs aus einem römischen Gutshof bei Lindach, die in Plastikschachteln liegen. Die werden einfach nur gewogen. Möglicherweise bekommen Kinder sie im Rahmen der Museumspädagogik zum Sortieren und puzzeln. Bei den Fragmenten aus der Steinzeit gilt es zwischen Stücken zu unterscheiden, die als Pfeilspitzen, Nadeln oder Angelhaken dienten, und den Splittern, die bei der Herstellung der Geräte als Abfall entstanden.

Die Ergebnisse seines Checks erfasst Aneder samt Angaben über Herkunft, Fundstelle und Alter mit einer speziellen Software. Das große Ziel ist es, alle Schätze, die in den nicht-staatlichen Museen Bayerns lagen, irgendwann in einer riesigen Datenbank zu erfassen und damit für Forscher leichter zugänglich zu machen.

Als neuer Leiter wird Aneder außerdem manches ändern. Die Spielzeugburg am Eingang, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit der mittelalterlichen Anlage bei Emmering hatte, gefällt ihm gar nicht. Stattdessen könnte man jeweils einen Fund des Monats präsentieren, so wie jene beiden Steinbeile, die unlängst bei Jesenwang gefunden wurden und an die fünftausend Jahre alt sind, wie er erzählt. Bei einigen Stücken muss er die Texte ändern. Den vermeintlichen imposanten Sarkophagdeckel halten Experten inzwischen für einen überdimensionalen Dachziegel, der einst ein Grabmal abschloss. Es gibt Ähnlichkeiten mit einem Bau in Frankreich, der zwölf Meter hoch war.

Manche Kisten aus dem Depot werden wohl einfach auf dem Müll landen. Sie enthalten allerlei Krimskrams, den Leute auf dem Dachboden und im Keller finden und abliefern, darunter sicher auch antike und wertvolle Relikte. Aber egal wie alt oder schön die Gegenstände sein mögen, ist ihr Fundort unbekannt, sind sie für die Wissenschaft so gut wie wertlos.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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