Nahrungstrends:Über den Tellerrand

Lesezeit: 4 min

Was wir essen, unterliegt bestimmten Trends. In Fürstenfeldbruck klärt eine Fachtagung darüber auf, wie sich Ernährungsvorlieben wandeln und von welchen Faktoren sie beeinflusst werden

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Nein, nicht gleich in den Mund schieben! Das kleine Bio-Vollmilch-Schoko-Täfelchen erst langsam auspacken, daran riechen, ein bisschen Schokolade an den Lippen reiben. Danach ein kleines Stückchen auf der Zunge zergehen lassen, den Geschmack testen, genießen, aufessen. "Die meisten essen ihre Schokolade nicht ganz so langsam", weiß auch Gisela Schaelow, Leiterin des Fachzentrums Ernährung/Gemeinschaftsverpflegung am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürstenfeldbruck (AELF), und dennoch lässt sie die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Erfahrung machen, dass "Genuss damit zu tun hat, sich Zeit zu lassen".

"Geschmacksneutral" hat eine Frau die frittierten Insekten in Erinnerung. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Mit "Genussort Mahlzeit - Foodtrends in Kita und Schule" ist die Fortbildungseinheit für Kita- und Schulverpflegung überschrieben. Personal aus Kindertagesstätten und Schulen, das dort mit Gemeinschaftsverpflegung zu tun hat, hat sich im Brucker Veranstaltungsforum eingefunden. Die tägliche Mahlzeit in der Gemeinschaft von Kita und Schule könne mit gutem Essen, schön angerichtet und mit Zeit und Ruhe verzehrt, zum Genussort werden, heißt es in der zuständigen Vernetzungsstelle. Das sei nicht immer einfach, biete aber die Chance, "Kinder und Jugendliche in ihrem Essverhalten ergänzend zur Ernährungserziehung in den Familien nachhaltig zu prägen". Was und wie Kinder täglich essen, spielt eine große Rolle für Wachstum, Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch für die langfristige Entwicklung des Ernährungsverhaltens.

"Essen ist nicht nur ein Bedürfnis für uns, sondern soll gleichzeitig auch Genuss sein", sagt auch AELF-Leiter Günter Biermayer bei der Begrüßung. Deshalb dürfe man "nicht nur predigen", was besser sein könnte, sondern "wie immer im Leben gehört auch dazu, dass die Dinge von der Emotion her freudig aufgenommen werden". Christian Götz (BBV), Brucks zweiter Bürgermeister, spricht einleitende Worte und erinnert daran, dass vor etwa dreißig Jahren "Tütensuppen und Dosenravioli das Non-plus-ultra waren", während heute Steinzeitküche "mit vom Baum gefallenen Früchten" in Mode seien oder Foodtrucks, die die frühere Würstlbude ersetzten. Götz gemahnte auch an die "weißen Semmeln, Salzbrezen und den überzuckerten Kakao im Tetrapak-Quader" in den Schulpausen. Gottlob, vorbei! Inzwischen werde in den Schulküchen regional, saisonal und auch bio gekocht, so Götz, und "das ist erfreulich, gerade auch wegen des Ganztagsbetriebs".

Woran also sollen Kinder und Jugendliche sich orientieren in Sachen Ernährung? Immer wieder tauchen neue Foodtrends auf, die das Essverhalten des einzelnen und von Gruppen beeinflussen, wie Esther Gajek vom Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft von der Universität Regensburg den Kursteilnehmern in einem unterhaltsamen Vortrag schildert und die sie mit den Schlagworten "digital, global, lokal, irrational" zusammenfasst. Esskultur, sagt sie, sei stets im Wandel begriffen. In der EU sei die Esskultur lange Zeit durch Mangel geprägt und in den Wirtschaftswunderjahren der Fünfziger durch eine regelrechte "Fresswelle" abgelöst worden: "Viel zu haben, war dann ein Zeichen des Wohlstands." Der Wandel zum digitalen, globalen und lebensstilorientierten Zeitalter erfasse auch die Ernährung, gehe aber auch mit Verhaltensunsicherheiten einher, für die es einer Bewältigungsstrategien bedürfe. Denn die große Auswahl an Lebensmitteln, die es heute gebe, führe auch zur Überforderung. Was soll ich aus dem riesigen Angebot denn bloß essen?

Nach welchen Kriterien wählen junge Menschen aus? Ein Teil von ihnen setze sich intensiv mit dem Thema Ernährung auseinander, sagt Gajek und führt als Beispiel den Kühlschrank einer WG anno 2018 an: Wo früher eine einzige Milchtüte stand, können es heute bisweilen vier sein - eine Frischmilch, eine Milch in der Glasflasche, eine laktosefreie Variante und ein Haferdrink. Intoleranzen gegenüber bestimmten Bestandteilen, Allergien, ein bestimmter Lebensstil, ein politischer Anspruch, all das könnten Gründe für "eine hohe Diversität in der Ernährung" sein, so Gajek. Bio, regional, vegetarisch, vegan oder selbst angebaut - Trends, die zeigen, dass viele jungen Menschen genau hinsehen, was sie zu sich nehmen.

Ernährung ist auch zu einem Politikum geworden, Gewissensbisse bei einzelnen eingeschlossen. Gajek zählt auf: zu viel Fleisch, zu hoher CO₂-Verbrauch bei der Produktion, Pestizideinsatz, Ausbeutung, Umweltschutz, ernährungsbedingte Krankheiten, tierethische Bedenken. Die Liste ist nur eine Auswahl. Gerade die Generation Z der von 2000 an Geborenen würde Ernährung häufig als Form des politischen Protests sehen und sich durch Essen auch abgrenzen: durch Energydrinks, Vegetarismus, Veganismus, Superfood wie Gojibeeren oder Chiasamen. Die junge Generation möchte auch wissen, welche Zutaten enthalten sind. Damit einher geht ein hoher Anspruch an Variation und Auswahl beim Essen. Man müsse deshalb auch in der Schul- und Kitaverpflegung um die Abgrenzungswünsche der jungen Leute wissen.

Andere indes verfügten kaum über Ernährungskompetenz, bevorzugten fertig zubereitete Convenience-Produkte. Und so werde die Fertigpizza nicht selten in 40 000-Euro-Küchen verzehrt, in denen aber nie richtig gekocht werde, sagt Gajek. Auch Pizza, Döner, Hummus waren nicht zu allen Zeiten selbstverständlicher Bestandteil der hiesigen Küche, fanden erst durch den Einfluss von Migration und Reisen Aufnahme. Dinge ändern sich.

"Haben Sie schon mal Insekten gegessen?", will Esther Gajek deshalb von den Zuhörern wissen. Drei Arme gehen noch. "Geschmacksneutral" hat eine Frau die frittierten Heuschrecken in Erinnerung. Eine andere berichtet vom Konsum von Ameisen in Guatemala und dass es einfacher sei, wenn man das Insekt beim Verzehr nicht direkt sehe. Vom "nussigen" Geschmack von Maden erzählt eine andere. Mancher mag sich schütteln angesichts dieser Vorstellung. Gajek erläutert, man sei hierzulande an Fleisch und Getreide gewöhnt und "nicht an andere Produkte". Der Ekel sei deshalb "kulturell bedingt".

Normal geworden ist für viele auch, unterwegs zu essen. Das Leben der Menschen würde entchronologisiert und damit auch der feste Rhythmus der Mahlzeiten im Tagesablauf verloren gehen, warnt Gajek. Stattdessen seien viele Menschen mit Coffee-to-go-Bechern anzutreffen, auch Pausenbrote könne man längst kaufen. Warum das Verhalten eigentlich so irrational sei, fragt Gajek, wo man doch so viel über die Zusammenhänge wisse. In einer Zeit, in der sehr viel über Bilder kommuniziert wird, entstehen auch immer mehr Bilder zu Ernährungsthemen. Vor allem junge Menschen finden größten Gefallen an vielen Foodbloggern, die zu Influencern und Idolen würden. "Man glaubt ihnen alles", sagt Gajek, dabei "brauchen wir mehr Wissen um die Ernährung und auch mehr Kochunterricht!"

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: