Nachwirkung der Reaktorkatastrophe:Verstrahlte Wildschweine

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Vor allem im Frühjahr ist die Strahlenbelastung der Wildschweine groß. Denn in dieser Zeit müssen sie tiefer im Boden wühlen, um Nahrung zu finden. (Foto: Jens Büttner/dpa)

In der Messstelle des Jagdverbands in Unterschweinbach werden mehr als drei Jahrzehnte nach dem Atomunfall von Tschernobyl immer noch zu hohe Cäsiumwerte im Fleisch der Tiere festgestellt

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Mehr als drei Jahrzehnte nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl sind Pilze und Wildschweine aus dem Brucker Land immer noch hoch verstrahlt. Fünf Schwarzkittel kontaminiert mit Cäsium weit über dem Grenzwert wurden erst am Dienstag in der Messstelle des Jagdverbandes in Unterschweinbach angeliefert. Das Umweltinstitut in München bekommt immer wieder Pilze, insbesondere Maronen, angeliefert, die man nicht verspeisen sollte.

Vier Wildschweine wiesen zwischen 800 und 1000 Becquerel Cäsium pro Kilo Fleisch auf, das fünfte Tier gar 2100 Becquerel, sagt Martin Pentenrieder, der die Messstelle betreibt. Er testet jedes Jahr etwa 400 bis 500 erlegte Wildschweine. Der Grenzwert für Fleisch, das verkauft werden soll, liegt bei 500 Becquerel. Das Umweltinstitut bekam im vergangenen Jahr Proben von Maronen aus Türkenfeld und Mittelstetten zugeschickt, die mehr als 300 Becquerel aufwiesen, also unter dem Grenzwert lagen.

Der ist allerdings umstritten, manche Experten fordern deutlich niedrigere Werte. Generell gibt es keine Grenze, unterhalb derer Radioaktivität ungefährlich sei, betonen die Mitarbeiter des Umweltinstituts. Es gelte das Minimierungsgebot: So wenig Radioaktivität wie möglich aufnehmen.

Sowohl bei Pilzen als auch bei Tieren schwanken die Werte jedoch beträchtlich. Nach Angaben des bayerischen Landesjagdverbandes (LJV) liegt im Frühjahr das Fleisch von bis zu 30 Prozent der getesteten Tiere über dem Grenzwert, im Sommer seien es nur zehn Prozent.

Denn die Kontamination ist abhängig vom Standort und dem Nahrungsangebot. Müssen die Schwarzkittel im Boden wühlen, können die Werte schnell ansteigen. Das ist etwa im Frühjahr der Fall, wenn sich Schweine im Winter etwa an belasteten Hirschtrüffeln aus der Erde gütlich getan haben. Das Rehwild sei deshalb in Südbayern nur selten betroffen und werde nicht getestet, sagt Joachim Reddemann, der LJV-Geschäftsführer. Er erwartet, dass die Werte bei Wildschweinen heuer fallen, weil viele Eicheln zu erwarten seien.

Manchmal würden bei zwei Schweinen aus der gleichen Rotte die Werte zwischen 50 und 700 Becquerel schwanken. "Die Geschmäcker sind eben unterschiedlich, wie bei Menschen", sagt Pentenrieder. Hoch belastet seien oft auch Frischlinge, die noch gesäugt werden, wenn die Bache kontaminiertes Futter gefressen hat.

Wer ein verstrahltes Tier abgeliefert hat, kann nach dem Atomgesetz eine Entschädigung verlangen. Dafür ist das Landratsamt zuständig. Seit Anfang 2016 seien insgesamt 66 Anträge eingegangen, berichtet Bernd Wanninger, der Referatsleiter für Sicherheit und Ordnung in der Kreisbehörde. Der Grenzwert sei "teilweise deutlich überschritten" worden und lag in vielen Fällen im vierstelligen Bereich. Ähnlich ist die Lage im benachbarten Landkreis Landsberg. Im Februar gab es dort sogar einen Fall mit fast 13 000 Becquerel, sagte Wolfgang Müller, der Pressesprecher der dortigen Kreisbehörde. Belastete Schweine werden in der Tierverwertungsanstalt in Kraftisried (Landkreis Ostallgäu) verbrannt.

Die Radioaktivität wurde im Frühjahr 1986 durch Wind und Regen ungleichmäßig verteilt. Welche Reviere im Landkreis Fürstenfeldbruck besonders betroffen sind, wollte Referatsleiter Wanninger aus Gründen des Datenschutzes nicht verraten. Pentenrieder stellt eine hohe Belastung häufig bei Wildschweinen fest, die im Ammerseegebiet oder in den Wäldern südlich von Grafrath geschossen wurden. Deutlich weniger belastet seien Tiere, die etwa aus dem Ampermoos stammen.

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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