Modernes Theater in Fürstenfeldbruck:Die Autorin und das puppenfressende Baby

Lesezeit: 2 min

Das Landestheater Niederösterreich stellt das Publikum mit Elfriede Jelineks Stück "Am Königsweg" auf eine harte Probe. Manche flüchten vorzeitig, viele spenden am Ende lang anhaltenden Applaus

Von Valentina Finger

Auf einmal sitzt Elfriede Jelinek mit Donald Trump auf der blauen Couch. Sie redet und prangert an. Er schweigt und lässt seine Anhänger für sich sprechen. Er ist die Marionette einer populistischen Bewegung, die eine Galionsfigur braucht, nicht unbedingt ihr Anführer. Alleine kann er nichts, tritt er doch von Anfang an bloß als quengelndes Baby auf, das Barbiepuppen frisst. Lassen ihn die anderen doch mal zurück, bleibt er bewegungslos und stumm. Er kann nicht anders, denn dieser Trump dort auf der Fürstenfeldbrucker Theaterbühne ist wirklich nur eine Puppe, allerdings eine lebensgroße.

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 hat in Elfriede Jelinek Szenen wie diese hervorgebracht, aus denen ein bissiges Theaterstück mit Fragmentcharakter entstanden ist. "Am Königsweg", das aktuellste, 2017 in Hamburg uraufgeführte Drama der Literaturnobelpreisträgerin ist keine Politsatire und passt auch in sonst kein Genre. Charakterisieren lässt es sich vielleicht am ehesten als moderne Freakshow, die ihre eigenen Inhalte kritisiert, als wilder Gedankenstrom, in dem Kapitalismuskritik, Zirkusmusik, Vergänglichkeitsgedanken, ein rotierendes Oval Office und monströs entstellte Muppets-Puppen zu materialisierten Albtraumbildern verflochten werden.

Das Landestheater Niederösterreich hat das komplexe Stück im Rahmen der Reihe "Theater Fürstenfeld" im Stadtsaal aufgeführt. Es ist eine gewagte Wahl. Schließlich existiert darin, wie meistens im postdramatischen Theater, keine nachvollziehbare Handlung. Die polemischen Reden von Menschen und Puppen gehen ineinander über, die thematischen Sprünge sind abrupt und einige Elemente wirken schlicht wie kalkulierter Nonsens. Regisseur Nikolaus Habjan und seine sechs Darsteller Bettina Kerl, Tilman Rose, Hanna Binder, Tim Breyvogel, Sabrina Ceesay und Manuela Linshalm haben sich dennoch getraut und eine reizgeladene Inszenierung geschaffen, die viel, stellenweise vielleicht zu viel, verlangt und die man als Zuschauer in erster Linie aushalten können muss.

In Fürstenfeldbruck war nicht jeder Besucher dazu bereit. Einige verließen den Saal vorzeitig. Dass es keine Pause gibt, mag dazu beigetragen haben. Die Inszenierung weiß, wie anstrengend sie ist. Jelinek, die sich als blinde Seherin, in Tradition des antiken Propheten Teiresias, und Kritikerin von König Trump selbst eine Puppenrolle zugeschrieben hat, reflektiert wiederholt indirekt die gefühlte Endlosigkeit des von ihr entworfenen Spektakels. Immer wieder kündigt ihr Puppen-Ich an, dass es Zeit wäre, zu schweigen. Doch sie spricht weiter. Während auf der Bühne die vielen Formen der Gewalt in der Ära Trump thematisiert werden, foltert die Inszenierung das Publikum ihrerseits quasi mit unerbittlicher und schier unendlicher Zusammenhangslosigkeit.

Trotz der Absage an klassische Strukturen gibt es im Stück Verweise auf die antike Tragödie. Die gegenwärtige Welt wird verglichen mit der Chaosstadt Theben, die oft, meist durch das Verschulden der Herrschenden, ins Unglück stürzte. Kommentiert wird das Bühnengeschehen von chorischen Passagen, wobei die rollenlosen Darsteller in ihren einheitlichen Kostümen mit den an sich austauschbaren Stimmen verschiedener Massengruppierungen sprechen. Im Grunde sind es schlussendlich zwei Tragödien, die in der Inszenierung zusammenkommen: Die des ewig lebenden, männlichen Machthabers, dessen Ideologie auch nach seinem Tod fortbestehen wird. Und die der alternden Frau, der Autorin selbst, die kürzlich 73 Jahre alt geworden ist und sich in Szenen mit ihrer Situation auseinandersetzt, die einen stillen Kontrast zur sonstigen Wirrnis darstellen. Populismus und Feminismus sind die zwei großen Stränge, die die Darbietung zusammenhalten und sie gleichzeitig so sehr zerstückeln. "Chaos, Entsetzen und kein roter Faden mehr zu finden", lautet eine treffende Textzeile der Jelinek-Puppe.

Habjans Inszenierung ist kraftvoll, aber nichts, das leicht gefällt. Sie spaltet das Publikum wie Trump die Gesellschaft: Während die einen flüchten, bleiben die anderen lange applaudierend im Saal zurück.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: