Mitten in Puchheim:Mikrodemokratie im Rathaus

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Der Ausfall der Lautsprecheranlage bringt es an den Tag: Vielen Lokalpolitikern fehlt eine Ausbildung in Rhetorik

Von Peter Bierl

Es gibt Leute, die ständig den Untergang des Abendlandes beschwören. Unverständlich ist ihr Gestus des Das-wird-man-wohl-noch-sagen-dürfen, weil sie von nichts anderem reden und keiner sie daran hindert. Das Rätsel löst sich, wenn man bedenkt, was wir bereits verloren haben. Zu den Anfängen der Demokratie im alten Athen gehörte die Reflexion, das geschliffene Argument und die Redekunst. Cäsar und Cicero reisten eigens in die Ägäis, auf deren Inseln seinerzeit die Hotspots hellenischer Eloquenz in Gestalt von Rednerschulen zu finden waren. Zur Ausbildung gehörte, sich Steine in den Mund zu stopfen und am Meeresufer stehend gegen die Brandung anzureden. Schließlich mussten Agora und Forum ganz ohne Technik beschallt werden. Klassische Rhetorik war elegant und laut.

Solche Fähigkeiten gehen Politikern heute ab, wie man im Puchheimer Stadtrat erleben kann, wenn die Mikrofonanlage nicht richtig funktioniert. Erst im Vorjahr für 45 000 Euro im Sitzungssaal installiert, setzen die Geräte ständig aus. Der Kämmerer springt von einem Apparat zum anderen: Entweder funktionieren die Akkus nicht oder deren Kontakt zum Mikrofon fehlt. Die Stadträte versuchen es ohne Support, aber bei manchem reicht die Lungenkraft nicht. Es muss aber kein Schaden sein, wenn manches ungehört bleibt. Zu hoffen ist vielmehr, dass ein Begriff wie "Jahresbeleuchtungsstromabrechnung" nicht die Jahrtausende übersteht wie manche Aphorismen von Perikles.

Schließlich stellte sich heraus, dass die Mikrofonanlage zwar längst bezahlt ist, der Stadtrat aber vergessen hat, überhaupt deren Anschaffung zu beschließen. Aufgefallen war das Erich Pürkner (CSU), Altbürgermeister und durchaus wortgewaltiger Anwalt. Jean-Marie Leone (SPD) konnte sich an die Summe gar nicht mehr erinnern. "Sie erscheint mir nur hoch", deklamierte er hörbar. Jedenfalls muss jetzt nachgearbeitet werden. Die Verwaltungsmitarbeiter werden prüfen, ob sie die Geräte richtig zusammengestöpselt haben. Wenn ja, wird die Herstellerfirma angegangen. Und der Stadtrat muss einen förmlichen Beschluss nachholen. "Jede Rede scheint eitel und nichtig, sobald die Tat ihr nicht Nachdruck gibt", sagte Demosthenes.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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