Mitten in Gröbenzell:Kahlfraß mit Ansage

Lesezeit: 1 min

Überall herrscht Hightech. Doch manches geht nur auf althergebrachte Art und Weise, Gröbenzeller Schafe machen es vor

Von Stefan Salger

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Junge Menschen setzen sich seltsame Brillen auf und schotten sich mit Kopfhörern von der realen Umgebung ab. Aber auch die älteren Semester beten Götzen mit kleinen rechteckigen Bildschirmen an und halten sich stundenlang im Cyberspace auf. Alles passiert digital, virtuell, per Mausklick oder ganz automatisch. Die Technik hat nicht nur die automobile Welt erfasst, in der die ersten Fahrzeuge ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und durch die Gegend fahren, ohne auf die Dienstleistung eines steuernden Menschen angewiesen zu sein. Führerlos surren auch seltsame runde Dinger, mit Fugendüsen im Waffenarsenal, kreuz und quer durchs Wohnzimmer und inhalieren offenbar mit dem größten Vergnügen noch die kleinste Staubflocke unter der Couch. Der Trend setzt sich jenseits der Terrassentür fort. Dort ist der Kollege des selbstfahrenden Staubsaugers damit beschäftigt, computergesteuert und höchst akkurat die Blumenwiese ordentlich zu stutzen, auf dass ein englischer Rasen daraus werde. Ach, waren das noch Zeiten, als wir selbst den Haushalt und die Gartenarbeit in die Hände nehmen durften. Als man sich noch als Mann fühlen durfte, wenn man mit dem knatternden Rasenmäher durchs Unkraut pflügte. Damals mussten wir uns noch keine Gedanken machen über Software-Updates, abstürzende Computer, defekte Hauptplatinen oder Hacker- und Virenangriffe. Back to the Roots statt entmündigende Mechanisierung und Automatisierung und Digitalisierung, das wär's! Lowtech statt Hightech, ein ferner Traum.

Gar nicht so fern! Es gibt sie, die Gegenbewegung, die Puristen, die Graswurzelbewegungen. Weil die Rückkehr zu bewährter Technik Risiken birgt, sind acht Gröbenzeller zunächst sechs Wochen auf Probe auf eine schwierige Testmission geschickt worden. Aus Landkreis-Perspektive in den extraterrestrischen Raum, rüber nach Dachau. In der dortigen Altstadt haben sich die Botschafter des einfachen Lebens gleich ans Werk gemacht und den Mund ziemlich voll genommen. Doch der Erfolg scheint ihnen recht zu geben bei ihrer kollektiven Annäherung an die Graswurzel. Am steilen Hang des Altstadtbergs würde jeder surrende Digitalknecht sang- und klanglos abstürzen. Es bedürfte schon einer millionenteuren kommunalen Steilhangspezialabmähundgraswegtransportiermaschine. Für erschwerte Bedingungen bestens gewappnet und günstig im Unterhalt sind die glorreichen Acht. Allesamt gestandene Ziegen, die gegen den ungezügelten Bewuchs mit Essigbaum und ähnlichem Gestrüpp ankämpfen. Ein Kahlfraß mit Ansage. Ohne digitalen Schnickschnack. Ohne Fugendüsen. Analoge Nachbarschaftshilfe. Da gibt's nichts zu meckern.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: