Mitten in Gernlinden:Geflügelte Abschreckung

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Echte Flügelpaare toter Vögel sollen an einem Gernlindener Maisfeld Saatkrähen abschrecken. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Fast wie im Mittelalter wirkt die Art, mit der ein Landwirt versucht, Saatkrähen zu verscheuchen

Kolumne von Christian Hufnagel

Um den Vergleich richtig auf sich wirken zu lassen, muss der Blick ein paar Jahrhunderte zurückgehen: Gut 90 Prozent der Bevölkerung lebten auf dem Land, in dunklen Räumen mit kleinen Fenstern und offenem Feuer. Brot und Hafergrütze waren die Hauptnahrung, jeder Winter eine Herausforderung, die es zu überleben galt. Die Menschen wurden lange nicht einmal halb so alt wie heute: Frauen im Schnitt 25, Männer 32 Jahre. In eine solche Zeit fühlte sich der Biologe Uwe Temper versetzt, als er jüngst an einem Feld bei Gernlinden vorbeikam: "wie im Mittelalter". Was er dort sah, kam ihm nicht zu Unrecht düster vor: Von einem Stecken baumelte ein toter Vogel, ohne Kopf und Körper, eine echte Flügelpartie bewegte sich im Wind. Auf dem Acker verteilt waren gut zehn solche bizarren Totems zu sehen. Aufgestellt hatte sie der Bauer, um die jungen Maispflanzen vor dem Hunger der Saatkrähen zu schützen.

Mit Temper ist ein echter Experte an diesem Aufreger vorbeigekommen, denn es dürfte wenige in Bayern geben, die sich besser mit der Vergrämung der Vogelart auskennen. Der Gernlindener beobachtet und kartiert sie im Landkreis, seit 2013 widmet er sich dieser Aufgabe in einem bayernweiten Monitoring. Andere SZ-Leser machten die gleiche befremdliche Entdeckung und stellten die naheliegende Frage: "Darf man das?" Ja, sagen der Biologe und auch Simon Weigl, Geschäftsstellenleiter der Kreisgruppe des Vogelschutzbundes: Das Aufhängen von Krähenvögeln sei nicht verboten. Trotzdem habe man dem Landwirt geschrieben, dass sich etliche Bürger an seinen "Vogelscheuchen" störten. Temper wiederum sagt, er habe sich entschlossen, nichts zu machen.

Grund: Haben Rabenkrähen Flügel lassen müssen, wäre das sogar erlaubt. Sie dürfen nämlich - außerhalb der Brutzeit - bejagt werden. Anders sieht es bei den Saatkrähen aus, die ganzjährig geschützt sind. Nicht nur der Maisbauer empfindet sie dennoch als Plage. Die östlichen Kommunen im Landkreis führen seit Jahren einen vergeblichen Abwehrkampf. Könnte man nachweisen, dass der Landwirt für sein Abschreckungsprogramm die geschützten Tiere getötet hat, hätte Temper wohl Anzeige erstattet. Aber selbst Spezialisten täten sich schwer, zwischen Raben- und Saatkrähen zu unterscheiden, sagt er. Das herauszufinden wäre sehr aufwendig. Also bleibt nur die Aussicht, dass der Landwirt auf die Experten hört: "Tote Vögel aufzuhängen, bringt als Abschreckung nichts", erklärt der. Und sei zudem aus der Zeit gefallen. Irgendwie mittelalterlich eben.

© SZ vom 21.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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