Mitten in Germering:Online-Oldtimer

Lesezeit: 1 min

Die Homepage der Bücherei versprüht den Charme der Internet-Gründerzeit

Von Florian J. Haamann

Es ist mal wieder so weit. Ein historisches Kulturgut im Landkreis, eines von vielleicht sogar nationaler Bedeutung, steht vor der Zerstörung. Nur ist es diesmal kein historisches Gebäude, kein Jahrhunderte alter Baum, kein von Finanznöten geplagtes Filmtheater. Das Objekt, um das geht, ist kein materielles, sondern ein digitales Gut. Denn die Germeringer Stadtbibliothek, Vorreiter bei der Ausleihe elektronischer Medien, hat angekündigt, ihre Webseite komplett neu zu gestalten; nach mehr als 20 Jahren. Ein Blick auf die Geschichte des Internets - 1989 wurden in Deutschland der erste Internetanschluss in Betrieb genommen und erst 1993 gab es mehr kommerzielle als wissenschaftliche Nutzer - macht deutlich, dass die Seite der Germeringer Bibliothek in ihrer Form zu den ältesten noch existierenden und aktiv genutzten Webseiten der Republik gehören muss.

Und tatsächlich ist der Besucher der Webseite, die nicht einmal eine eigene Domain hat, sondern sich auf der Homepage der Stadt versteckt (www.germering.de/bibliothek/), wie ein Ausflug in die Steinzeit des Internets. Sie wirkt wie mit Microsoft Frontpage gebaut - der eine oder andere mag sich an dieses "Word für Homepages" erinnern. Der marmorierte Hintergrund erinnert an eine Powerpoint-Präsentation. Auf spielerische Elemente, Interaktivität und automatische Anpassung an den Bildschirm wird verzichtet - zumindest fast. Denn auf der Startseite findet sich etwas, was früher auf keiner Seite fehlen durfte, heute aber nur noch bei einer großen Auktionsplattform zu finden ist: Ein Besucherzähler. Hinter dieser musealen Fassade jedoch finden sich stets aktuelle Informationen. Und darauf kommt es doch an.

In ihrer Schlichtheit und Unaufgeregtheit ist die Seite der Germeringer Bibliothek wie ein Fels in der Brandung des hektischen Internets. Schade, dass sie nun ausgemustert wird. Vielleicht wäre es schöner, sie wie einen Oldtimer zu hegen und zu pflegen, damit künftige Generationen an ihr sehen können, wie das damals war im Internet. Damals, vor Facebook, Instagram und was da sonst noch auf uns zukommt in den kommenden 20 Jahren.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: