Mitten in Germering:Literarischer Erstkontakt

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Blind Date mit einem Buch: Die Stadtbibliothek will die Neugier der Leser anstacheln

Kolumne von Christian Hufnagel

Die tieferen Werte sind es nicht unbedingt, die den Ausschlag geben und den berühmten Funken zum Überschlag bringen. Das räumt auch das Lexikon ein, wenn es diese Form der Kontaktaufnahme zu beschreiben versucht: "Langfristige, soziale und genetische Auswahlkriterien", im engeren Sinne sogar das Kriterium des äußeren Erscheinungsbildes würden zugunsten des kleinsten gemeinsamen Nenners ausgeblendet. Und der heißt: Hat Interesse an spontanen Bekanntschaften. Und das mit jemandem, den er bisher nicht gekannt, nicht getroffen, von dem er sehr wenig bis gar nichts weiß und von dem er sich auch noch kein Bild gemacht hat. Diese Form der Verabredung nennt sich dann ein Blind Date.

Im wirklichen Leben mit echten Menschen sind bisher im Landkreis nur ganz vereinzelt Einrichtungen auf die Idee gekommen, auf diese Weise Partner- oder Liebschaften in die Welt zu setzen. Das Mehrgenerationenhaus in Fürstenfeldbruck hat sich da als einsame Partnervermittlungsplattform für die ältere Generation hervorgetan und bereits drei Mal eine professionell organisierte Form des Blind Dates in seinen Räumlichkeiten angeboten: das "Speed-Dating 60 plus". Es war immer ausgebucht. Auch auf einem ganz anderen Gebiet tauchte vor Jahresfrist der spannungsgeladene Begriff auf, als die Puchheimer Buchhandlung Bräunling zu einer "Blind-Date-Lesung" lud: Gut 50 Menschen ließen sich auf die Begegnung mit einem vorher unbekannten Literaten ein, einer von den zehn Kandidaten für den Deutschen Buchpreis, die zu dieser Zeit republikweit als lesende Überraschungsgäste auftraten.

Die mit Eros und Erwartung kokettierende, mit Lust und Leid lockende Bezeichnung passt zur Literatur und ihren Exponenten durchaus. Ein Buch entreißt den Leser aus seiner Einsamkeit, entführt ihn in eine aufregende Welt und je nach gewonnenem Lebenswert kann daraus eine innige Beziehung zum Schriftsteller entstehen.

Eingedenk dessen tauchen auch die Marketingstrategen der Germeringer Stadtbibliothek in diese Allegorie ein und kleiden eine vorweihnachtliche Ausleihaktion in ein verheißungsvolles Sprachbild: "Blind Date mit einem Buch". Der Lesehungrige findet also 100 blickdicht verpackte Bücher zur Auswahl vor, deren Inneres ihm so lange verschlossen bleibt, bis er das Papier zu Hause aufreißt. Die Bücherei will damit erreichen, dass die Leser nicht immer nach Kriterien wie Cover, Autor und Inhalt auswählen: "Mancher Schatz der Bibliothek bleibt dabei unentdeckt", will das Bibliothek-Team dazu ermuntern, "Neues und Unbekanntes auszuprobieren". Und wenn diesem Einfall nun das Publikum nicht blindlings folgen will, wird sich die Germeringer Stadtbibliothek sicherlich noch steigern können und zum "Speed-Dating mit Büchern" einladen.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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