Mitten in Germering:Bis zum ersten Hahnenschrei

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Vom psychologischen Wert der Hühnerhaltung in schönster Einfamilienhausidylle

Von Erich C. Setzwein

Als Jesus mit seinen Jüngern seinerzeit in einem Jerusalemer Altbau zu Abend aß und ahnte, dass er dies am nächsten Abend nicht würde wiederholen können, sagte er seinem getreuen Petrus voraus, dass dieser ihn drei Mal verleugnen werde. "Bevor der erste Hahn kräht", soll Gottes Sohn zu ihm gesagt haben. Nun weiß man ja, dass die Evangelisten keine neutral beobachtenden Reporter und schon gar keine Edelfedern waren, doch hat sich deren Biografie über Gottes Sohn seither ganz gut verkauft. Im Gedächtnis geblieben sind auch solche Überlieferungen, wie der vom Hahnenschrei in Jesus' letzten Lebensstunden .

Wenn heute Hähne krähen, denkt niemand mehr an den armen Petrus, sondern nur noch an sich selbst. Neubürger, vor allem die, die von der Stadt in den Landkreis ziehen, beschweren sich ganz schnell, wenn in ihrer Nachbarschaft Hähne krähen. Vielleicht haben sie aber auch nur nicht gewusst, dass es dort noch Landwirtschaft gibt, weil auf den Eierschachteln und Milchpackungen immer so schöne Bildchen mit Alpen gedruckt sind. Doch auch in einer Stadt ist es noch landwirtschaftlich lebendig, picken die Hühner in Vorgärten, und zwischendrin auch Hahnengeschrei.

Wo es wohl kaum jemand für möglich halten würde, leben in Germering Hähne und Hühner zwischen Einfamilienhausidylle, Schulhaus und Hotel. Wer dort etwa in den Souterrain-Räumen der Volkshochschule einen Kurs besucht oder morgens in seinem Pensionszimmer aus dem Schlaf schreckt, mag beim Hören eines Hahnenschreis zunächst eher an einen lustigen Klingelton vom Typ Red Rooster denken. Doch sind es tatsächlich schön gefiederte quicklebendige Tiere, die da mitten im Ort stehen und das tun, was sie eben am besten können: krähen. Das ist auch gut so, gerade für die Kinder der Kirchenschule. Damit verlieren sie nicht die Identität Germerings, das von Tag zu Tag zwar urbaner wird, aber gleichzeitig seine ländlichen Wurzeln nicht verleugnen kann. Es wird jedoch kein Hahn mehr danach krähen, wenn den Äckern für Wohnungsbau und Gewerbe das letzte Stündlein geschlagen hat.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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