Mitten in Fürstenfeldbruck:Wand der Jugend

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Die Botschaft eines plötzlich vollgekritzelten Lüftungsschachtes

Von Florian J. Haamann

Eltern fällt es oft nicht leicht, in die Köpfe ihres Nachwuchs zu schauen. Besonders schwierig wird es, wenn diese ominöse Phase namens Pubertät beginnt. Die eigenen Kinder werden zu Feinden, hören komische Musik und trinken Alkohol. Um diese wirren Vorgänge in den jugendlichen Köpfen zu entschlüsseln, haben kluge Erwachsenen das getan, was sie immer tun, wenn sie etwas nicht so ganz verstehen: eine Wissenschaft gründen. In diesem Fall die relativ junge Disziplin der Jugendforschung. Für diese Nachwuchs-Forscher ist nun ein historisches Dokument aufgetaucht - quasi eine Art Stein von Rosetta -, das all ihre Fragen beantworten wird. Zu finden ist es ausgerechnet in Fürstenfeldbruck. Genauer gesagt auf dem Dach des AEZ in der Schöngeisinger Straße. Dort haben Jugendliche einen bis vor wenigen Wochen noch blanken Lüftungsschacht komplett mit Zitaten verziert und dort so ihre Gedanken und Sehnsüchte verewigt.

Zuerst einmal lässt sich dort ablesen, was die heutige Jugend mit der Generation ihrer Eltern teilt. "Peace, love, weed" ist da zu lesen und wüsste man nicht, dass dieser Spruch erst seit ein paar Tagen an der Metallwand prangt, man könnte meinen ein Überbleibsel der Achtundsechziger gefunden zu haben. Ähnlich steht es mit der Abkürzung "ACAB" (All cops are bastards). Moderner als ihre Eltern sind die Jugendlichen was ihren Life-Style angeht. Statt Vegetarismus plädieren sie für Veganismus. Beim Thema Musik sind sie sich nicht ganz einig. So finden sich neben den Kürzeln mehrerer moderner Rockbands auch Textzeilen deutscher Rapper, etwa von Materia dessen Song "Lila Wolken" fast vollständig zitiert wird. Ergänzt wird das Ganze von Sinnsprüchen wie "Jeder redet, keiner macht".

Welche Erkenntnis kann die Wissenschaft nun aus diesem Gedanken-Sammelsurium ziehen? Vielleicht die, dass sich die Jugendlichen von heute eigentlich überhaupt nicht von den Jugendlichen anderer Zeiten unterscheiden. Damit wäre dieses Mysterium wohl ein für alle Mal gelöst.

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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