Mitten in Fürstenfeldbruck:Konstant vierzig

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War ich nicht nett zu meinem Landwirt? Das hat sich am Dienstag wohl so mancher Autofahrer gefragt, als er bei Tempo 40 hinter Traktoren herfuhr

Kolumne von Erich C. Setzwein

Der letzte wirklich relevante Bauernaufstand ist eine Zeitlang her. Die Sendlinger Mordweihnacht von 1705 war ein Massaker, das Ergebnis dieser Erhebung gegen die österreichischen Besatzer ein Desaster. Mehr als 300 Jahre später sind die Bauern einfallsreicher geworden, um ihre Interessen zu vertreten. Die Milchbauern schütten Milch auf die Straße, die Viehzüchter kippen Mist vor ein Ministerium, und wenn der Bauernverband zur Traktor-Demo aufruft, kommen alle, über allen thronend auf ihren fetten Sechszylindern. Am Dienstagvormittag war es wieder so weit, weil die EU, deren Hauptaufgabe es ist, die Landwirtschaft finanziell zu unterstützen, so schlimm sei, weil die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner alles nur viel schlimmer mache und überhaupt die Bauern ständig gebasht würden, auch schon von der CSU. Das kann einen Landwirt in Rage und sogar auf eine Sternfahrt nach München bringen.

Für so manchen Verkehrsteilnehmer, ob im Pendler-Pkw oder auf dem Bock des Vierzigtonners, mochte die Zeit bis zum Ziel gar nicht vergehen, weil unzählige Traktorfahrer unter anderem die Bundesstraßen 2 und 471 als ihren Weg nach München erkoren hatten. Bei konstant 40 und ohne sichere Überholmöglichkeit durfte sich jeder Hinterherfahrende fragen, was er wohl im Bezug auf die Landwirtschaft falsch gemacht hat. Agrarscham würde der Fachmann vielleicht so etwas nennen. Wäre es doch klüger, mehr konventionelle Milch im Supermarkt zu kaufen, als die teurere im Bioladen? Sollte vielleicht häufiger das überdüngte und gespritzte Gensoja auf dem Speiseplan stehen statt das vegane Dinkel-Grünkernpflanzerl? Und überhaupt: So schlimm kann die Massentierhaltung doch gar nicht sein!

Auf der Schleichfahrt mit Traktor-Höchstgeschwindigkeit von Grafrath bis Germering aber hätte man sich auch fragen können, wie viel subventionierter Agrardiesel verbrannt wird und ob die ökologischen Reifenabdrücke von Fahrten aus Mindelheim bis München nicht doch ein wenig zu groß sind. Aber selbst eine Antwort darauf würde wahrscheinlich keinen Aufstand mehr auslösen.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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