Mitten in Fürstenfeldbruck:Herbstliche Zwietracht

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Die goldene Pracht sieht zwar schön aus, löst am Boden aber nicht selten Nachbarschaftsstreit aus. (Foto: Johannes Simon)

Wenn die Blätter fallen, ist das für viele Menschen wenig romantisch

Von Christian Hufnagel

Im Blätterwald herbstlicher Gedichte rauscht es wieder gewaltig. Es ist die Zeit der schwermütigen Worte, die die Erfahrung der Endlichkeit in den Wind schreiben wollen. Aber zwischen all dem seligen Gereime hat schon im 19. Jahrhundert ein Lyriker das Böse entdeckt, das über den Köpfen an den Ästen lauert: "Das erste Herbstblatt leuchtet wie Blut, / Als ob verwundet im Strauch einer ruht. / Sein Blut von Blatt zu Blatt still tropft, / Sein Tod an alle Bäume klopft." Auch wenn Max Dauthendey wohl nur die Vergänglichkeit in eine eindringliche Metapher kleiden wollte, benannte er aus heutiger gerichtsgeplagter Sicht und Erfahrung mit streitbaren Nachbarn klar den Auslöser allen Übels: das Blatt, das sich nicht mehr halten kann und alle anderen mitreißt.

Für die Menschen ist dieser Erneuerungsprozess der Natur besonders verheerend. Vor allem für die im Landkreis, wie ein Beitrag in der jüngsten Sendung von "Quer" im Bayerischen Fernsehen auf bedrückende Weise veranschaulicht. In den Gärten der Kreisstadt herrscht Verzweiflung. Eine 90-Jährige zeigt hilflos herum und jammert: "Wenn der Wind geht, dann kommt es." Dann habe sie gut eineinhalb Stunden Arbeit damit. Eine andere Bruckerin ist vor ihrem Haus nicht weniger deprimiert: "Alles bleibt liegen", stöhnt sie und versucht tapfer dagegen anzukehren. Das Schicksal, das die beiden Rentnerinnen Jahr für Jahr heimsucht, sind die ungezählten Blätter, die der Wind von Bäumen der Nachbarn auf ihren Grund weht. Eine Frechheit, eine Ungerechtigkeit. Stoff für genauso ungezählte Auseinandersetzungen vor Gericht, wie eine Rechtsanwältin bestätigt. Aber: "Es herrscht Laubräumpflicht." Heißt: Fallen die Blätter vom Nachbarbaum auf meinen Bürgersteig, muss ich sie beseitigen.

Geradezu rührend pädagogisch demonstriert das in der Sendung der Maisacher Bürgermeister: Hans Seidl steht vor der Grenze zweier Gärten. Er nimmt ein welkes Blatt von einem Pfosten, geht einen Schritt vor auf den Bürgersteig, bückt sich und legt es vor die Thujenhecke des anderen: "Liegt das Blatt über der Grenze auf der anderen Seite, ist der Nachbar zuständig", erklärt der Rathauschef freundlich und lächelt damit telegen zugleich auch den Ärger einiger Maisacher weg, die sich zuvor über den Blätterabwurf kommunaler Straßenbäume vor ihren Grundstücken echauffiert hatten. Und wer immer noch zürnt, dem sei Christian Morgensterns "Blätterfall" mitgegeben: "Ein unabsehbar Blättermeer / Entperlt dem Netz der Zweige. / Du aber, dessen schweres Herz / Mitklagen will den großen Schmerz / Sei stark und schweige!"

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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