Mitten in Fürstenfeldbruck:Dekadenter Spätkapitalismus

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Ein Autofahrer stellt seinen Wagen gefährlich nah am den Bahngleis. Die Polizei weiß Bescheid, die Bahn schreibt einen Brief, aber abgeholt wird das Fahrzeug dennoch nicht

Kolumne von Peter Bierl

In den guten alten Zeiten des Fordismus, als richtige Männer lebenslang sozialversichert am Fließband arbeiteten, während Frauen ihren Gemahl dafür um Erlaubnis zu bitten hatten, als der Staat noch jede Zahnspange finanzierte und überall geraucht werden durfte, da kippte man seinen Sperrmüll einfach irgendwohin. Der Anblick eines halbverrosteten Kühlschranks oder Autos in Wald und Flur war nicht ungewöhnlich.

Seit einigen Monaten können Passagiere der Bahn auf freier Strecke zwischen Bruck und Emmering ein Auto bestaunen, das nahe den Gleisen an einer Böschung steht. Die Bahn AG hat den Besitzer nun per Einschreiben aufgefordert, den Wagen zu entfernen, andernfalls werde man selbst tätig werden und dem Mann die Kosten in Rechnung stellen. Das Unternehmen hatte zunächst die Polizei eingeschaltet, die aber nicht zuständig ist. Der Wagen steht nicht auf öffentlichem Grund, ist angemeldet und hat eine TÜV-Plakette, was wenig heißt. In Brasilien hat ein TÜV-geprüfter Staudamm neulich 300 Menschen unter sich begraben.

Hingegen hat die DB Netz den Wagen mit einem Spanngurt fixieren lassen, damit er nicht auf die Gleise kippen möge. Wie lange die Frist noch währt, die dem Fahrzeughalter gesetzt wurde, wollte die Bahn AG nicht verraten. Es soll aber bald Schluss sein mit dieser unbefugten Ablagerung. Dabei hatte sich der Besitzer sofort und sogar freiwillig bei der Polizei gemeldet und sein Fehlverhalten gebeichtet, den Wagen aber holte er nicht ab.

Vielleicht ist es ja bloß sein Dritt- oder Viertwagen, oder es ist ihm zu anstrengend, oder die Bachblüten, die er gesammelt haben will, als er den Wagen abstellte, lösen doch mehr aus als nur Placebo-Effekte. Bezeichnend ist jedenfalls, dass im dekadenten Spätkapitalismus nicht mehr bloß Schrottmühlen, aufgebockt, ohne Reifen und Nummernschilder und mit abgeflexten Fahrgestellnummern einfach in der Landschaft entsorgt worden, sondern schöne, fahrtüchtige Autos aus deutscher Wertarbeit. O tempora, o mores, was für Zeiten, was für Sitten, klagte schon der alte Cicero.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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