Mitten in der S-Bahn:Erleuchtende Fahrt

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Pünktliche S-Bahnen im aktuellen Takt sind eine physikalische Unmöglichkeit

Kolumne von Florian J. Haamann

Es gibt wohl wenige Zugführer, die so weit in der Welt rumgekommen sind wie MegaSim. Mal fährt er durch den New Yorker Untergrund, dann wieder mit dem LGV Méditerranée durch Frankreich oder mit dem historischen "Flying Scotsman" von London nach Edinburgh. Besonders gerne aber ist er in Deutschland unterwegs, vor allem in Bayern. Zugegeben, MegaSim ist kein echter Zugführer, sondern ein britischer Youtuber, dessen große Leidenschaft Zugsimulatoren wie der hoch realistische "Train Sim World 2" sind. Täglich veröffentlicht er neue Videos in denen er mit seinen 5000 Abonnenten die schönsten Bahnstrecken der Welt erkundet. Hunderte Zugfahrten sind so mittlerweile auf seinem Kanal archiviert. In dieser Woche nun hat er seine Zuschauer mitgenommen auf eine Runde mit der S3 vom Hauptbahnhof bis nach Maisach - und so zumindest einem kleinen Ausschnitt des Landkreises zu weltweiter Aufmerksamkeit verholfen.

Mit 30 Sekunden Verspätung verlässt er um 11.55 Uhr Lochhausen und bricht Richtung Landkreisgrenze auf. "Ok, Grobensell is the next Stop. Lovely". Ein Adjektiv, das dem Einheimischen wohl nicht als allererstes einfällt, wenn er den Gröbenzeller Bahnhof beschreiben soll. Für Zuschauer aus der Ferne mag vor allem die - erstaunlich realistische - Landschaft ein Genuss sein, die MegaSim da erkundet. Für verspätungsgeplagte S-Bahnfahrer allerdings hält das dreißigminütige Video eine ganz andere Erkenntnis bereit. Denn egal, wie sehr sich der erfahrene virtuelle Zugführer auch anstrengt, eines gelingt ihm einfach nicht: pünktlich zu sein. Dass das freilich nicht an seinen Fahrkünsten liegt, bestätigt einer der Kommentatoren unter dem Video. "I can never run to time on this route", heißt es da. Und MegaSim, der wohl so jeden Zug kennt, mit dem man unterwegs sein kann, hat dafür auch eine Erklärung: "I think it's the acceleration and brakes". Beides ist zu schwach, um in der vorgegebenen Zeit sicher und vorschriftsgemäß von Station zu Station, also von Oltsching nach Görnlinden und Maisak, zu eilen. Wenn das also schon in einem Computerspiel, das tendenziell weniger Komplex und etwas leichter als die Realität ist, nicht zu schaffen ist, wie sollen da echte Lokführer in echten S-Bahnen den Zeitplan einhalten können? Pünktliche S-Bahnen im aktuellen Takt sind also eine physikalische Unmöglichkeit. Das sollte den Planern bei der Bahn zu denken geben und bei den Fahrgästen zumindest etwas Verständnis für ihre bemühten Zugführer wecken.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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