Mitten in Alling:Das Werk einer Motorsäge

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(Foto: privat)

Wie sich ein stattlicher Tannenbaum in eine Großplastik verwandelt

Von Christian Hufnagel

Dieser Baum ist von Natur aus ein Kunstwerk. Seine erhabene Gestalt gewinnt er aus seiner "streng monopodialen Wuchsform". Weniger lexikalisch ausgedrückt: Von einem durchgehenden Stamm aus geht Ast um Ast ab und bildet mit der Zeit eine nahezu symmetrische Verzweigung. Freilich bedarf es für die schöngeistige Würdigung ein Menschenleben, wächst dieses Gewächs doch so mit rund 35 Zentimetern im Jahr gemächlich vor sich hin. Wer bis 90 Meter groß werden will, fordert da Generationen ein, bis er sich in seiner ganzen Schönheit offenbart. Dementsprechend hat dieser Baum in vielen Ländern einen Kultstatus erreicht, in seiner unfassbaren Langlebigkeit von 200 bis 800 Jahren und seiner Immergrünheit erfährt er die Verehrung als Symbol von Geburt und Wiederauferstehung. Nur in der Funktion als Christbaum in heimeligen Wohnzimmern ist seiner Existenz dann doch eine recht kurze Dauer beschieden.

Ein Prachtexemplar an Tanne ist auch im Vorgarten von Andrea und Peter Büttner-Sauers über Jahrzehnte hinweg gen Himmel gewachsen. 20 Meter hatte sie erreicht und für die Allinger Familie ein "wunderschönes" Bild abgegeben. Aber ein solch stattliches Gewächs hat natürlich auch seine Schattenseite. Und diese war beträchtlich: "In der Küche mussten wir schon fast im Dunkeln tappen." Und weil das für die Zubereitung von Speisen nicht unbedingt förderlich ist, entschloss sich das Ehepaar zu einem buchstäblich einschneidenden Schritt: Der Baum sollte umgelegt werden, damit es wieder mehr Licht werde, zugleich wollte man ihn aber "sinnvoll verwerten". Es wurde eine zweigeteilte Lösung. Die obere Hälfte mit der stattlichen Krone kam auf den örtlichen Christkindlmarkt und erstrahlte gewissermaßen posthum in einem letzten Lichterglanz. Die gestalterische Motorsäge des Gröbenzeller Künstlers Richard Litzinger nahm sich des verbliebenen Stammes an und widerstand der Versuchung, ein Späne speiendes Werk der Zerstörung zu feiern. Im Gegenteil: Die Bearbeitung verwandelte ein mageres Stück Holz in eine ansehnliche Großplastik: in einen freundlich dreinblickenden Uhu. "Wir finden, schöner kann Holzverwertung nicht sein", würdigt die Gemeinde in einer Pressemitteilung diese Metamorphose einer Tanne, die damit über ihren Tod hinaus ein Kunstwerk bleibt.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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