Mehr Berufung als Beruf:Der Tod als täglicher Begleiter

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Wer sich ständig mit der Endlichkeit des Seins beschäftigt, verändert auch seinen Blickwinkel auf das Leben. Bestatter aus Fürstenfeldbruck und Dachau geben Einblicke in ihren Berufsalltag

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck/Dachau

14 Tage Praktikum in der Gerichtsmedizin waren Wolfgang Hödls Feuerprobe. Gleich am ersten Tag das volle Programm: Unfallopfer, nach schwersten Verletzungen verstorben. "Das war schon ein Moment, in dem ich gefragt habe: Muss ich das wirklich öfter haben?" Der stellvertretende Leiter der Brucker Friedhofsverwaltung und des städtischen Bestattungsdienstes musste ja erst einmal ausprobieren, ob er für den täglichen Umgang mit Verstorbenen gemacht war. Die Gerichtsmedizin schien ihm dafür am besten geeignet. Wer das schafft, kann auch Bestatter werden. Nach dem ersten Schreck stand schnell fest, Wolfgang Hödl war dafür gemacht. Seinen Beruf als Bäcker gab er vor fast 30 Jahren wegen einer plötzlich auftretenden Mehlstauballergie auf. Er tauschte ihn ein, um den Verstorbenen fortan den letzten Dienst zu erweisen.

Bestatter aus Berufung: Robert Kraus liebt seinen Beruf. In seinem Unternehmen in Hebertshausen berät er fast täglich Hinterbliebene, auch bei der Auswahl von Urnen und Särgen. (Foto: Julia Bergmann)

In den vergangenen drei Dekaden im Bestattungswesen gab es nichts, was Hödl nicht gemacht hätte. Vom Abholen, Waschen, Ankleiden, Herrichten und Einsargen der Verstorbenen bis hin zur Betreuung von Trauernden, Überführungen aus dem Ausland und dem Organisieren von Bestattungen. Heute als Stellvertreter und bald als Chef der Friedhofsverwaltung kümmert sich der Wahl-Brucker vor allem um die Trauerberatung, das Organisatorische, die Finanzen und nicht zuletzt das Personal. Einen guten Teil der Arbeit, die Abholung und den Transport der Verstorbenen hat der Brucker Bestattungsdienst mittlerweile ausgelagert. Seit etwa 18 Jahren erledigt das das Dachauer Bestattungsunternehmen Kraus für Fürstenfeldbruck.

Letzte Handgriffe: Axel Katterbach rückt kurz vor der Trauerfeier noch das Blumenbouquet zurecht. (Foto: Julia Bergmann)

23 Kilometer entfernt im Hebertshausener Ortsteil Prittlbach sitzen Robert Kraus und drei seiner Mitarbeiter morgens um 7.45 Uhr am Besprechungstisch. Nicht mehr als drei Minuten dauert es, bis die Aufgaben verteilt sind. Kaum ist die Besprechung beendet, machen sich zwei der Mitarbeiter auch schon auf den Weg, um einen Verstorbenen zum Friedhof zu bringen. Der Tod, so scheint es, wartet auf niemanden. Immerhin bleiben Axel Katterbach an diesem Morgen noch ein paar Minuten des Innehaltens, bevor auch er zu einer Sargtrauerfeier aufbrechen muss. Auf seinem Schreibtisch steht ein kleiner Kalender voll mit sanftgetönten Landschaftsfotografien, auf jedem Blatt ein nachdenklich stimmendes Zitat. "Jeden morgen wenn ich ins Büro komme, schlage ich ein Blatt um und nehme mir kurz Zeit, den Spruch wirken zu lassen", sagt Katterbach. Heute sind es die Worte von Henry David Thoreau: "Was vor uns liegt und was hinter uns liegt, sind Kleinigkeiten zu dem, was in uns liegt."

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Die Urnenvariationen der Bestatter im Landkreis reichen von Naturbirke...

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...über Schwanenkitsch...

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...bis hin zur Hells-Bells-Urne à la AC/DC.

Früher, erzählt der Bestatter, hätte ihn so etwas kalt gelassen. Früher liegt aber auch schon sechs Jahre und eine ganze Welt zurück. Da hat Katterbach noch in einer führenden Position bei einer Schnellrestaurantkette gearbeitet. Für viel Geld und mit hoher Verantwortung, dafür aber mit wenig Freizeit. "Ich habe dort viel gelernt, vor allem was den Umgang mit Menschen angeht", sagt Katterbach. Das hat er aus dieser Zeit mitgenommen. Vieles hat sich aber auch geändert. Er hat an innerer Ruhe gewonnen, vielleicht sogar an Tiefe. Die Arbeit mit dem Tod, sie verändert einen Menschen. "Ich denke natürlich mehr über das Ende des Lebens nach und lebe deswegen bewusster", sagt Katterbach. Aber nicht nur das. Sowohl er, als auch Kraus und Hödl haben eine Bestattungsvorsorge getroffen und eine Sterbeversicherung abgeschlossen. "Man sieht ganz schnell, wie die Lichter ausgehen", sagt Kraus. Für den Fall eines plötzlichen Todes hat er bereits alle Formalien geregelt und Wünsche festgehalten. "Auch so, dass die Firma reibungslos weiterlaufen kann", sagt er. Angehörige seien nach einem plötzlichen Tod schnell überfordert, wenn es um fehlende Vollmachten und ähnliche Dokumente gehe. Tatsächlich nehmen die sogenannten Sterbevorsorgen, also die Beratungen, während derer Lebende alles für den Fall ihres Todes beim Bestatter ihres Vertrauens regeln, kontinuierlich zu, sagt Kraus. Das Bewusstsein der Menschen für jene Fragen scheint zu wachsen.

Wie sein Kollege schätzt auch Wolfgang Hödl die Vielseitigkeit des Berufs. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Mittlerweile hat sich Katterbach auf den Weg gemacht. Durch den noch nebelverhangenen Herbstmorgen fährt er in Richtung Friedhof. Dort angekommen, bleibt noch eine gute Stunde, bis die ersten Trauergäste kommen. Zeit, in der Katterbach und sein Kollege Patrick Leichsenring letzte Handgriffe anlegen. Die Sterbebildchen werden beim Mesner abgegeben, die Kerzen in dem kleinen Leichenhaus entzündet, der Blumenschmuck zurechtgerückt. In der Kirche beginnt Leichsenring mit der Dekoration. Um den zunächst noch schmucklosen Ständer für das Foto des Verstorbenen drapiert Leichsenring silbernen und grünen Samt, davor drei große weiße Kerzen, während Katterbach mit einer sanften Handbewegung das Bild des Mannes zurechtrückt. Die beiden Männer stehen prüfenden Blickes vor ihrem Werk. "Ein paar Blütenblätter wären schön", findet Katterbach. "Müsste nicht unbedingt sein", sagt Leichsenring. "Jeder hat seine eigenen Vorlieben beim Dekorieren."

Als die Angehörigen kommen, steht Katterbach bereit, begrüßt die Eintreffenden und spricht mit der Witwe, die Katterbachs Hände drückt und ihm für seine Unterstützung dankt. "Jeder Sterbefall ist anders und auch jeder Angehörige reagiert anders", sagt Katterbach. Sich darauf einzustellen, braucht Fingerspitzengefühl, Empathie und Authentizität. Vor den Sarg tritt ein Mann. Er hebt die Hand, als wolle er den Verstorbenen einletztes Mal grüßen. Mitten in der Geste hält er ruckartig inne, als würde der Schmerz ihn übermannen, er schluchzt auf. Es sind Momente wie diese, in denen auch bei Katterbach mal eine Träne fließen kann. "Und das ist ok so. Ich bin in dem Moment ganz bei den Trauernden." Nach und nach leert sich der Friedhof, erst dann wird der Sarg abtransportiert. "Wir wollen, dass die Angehörigen sich in Ruhe verabschieden können", sagt Katterbach. Das letzte Bild vom Sarg - es soll ein friedliches sein.

Auf dem Weg zurück ins Büro klingelt das Handy des Bestatters. Seine Kollegin ist am Apparat, ein neuer Sterbefall ist eingegangen. Ein Verstorbener soll aus einem Klinikum in Niederbayern nach Dachau geholt werden. Papierkram und Organisatorisches wird erledigt, die Klinik, das Standesamt sowie die örtliche Polizeidienststelle kontaktiert. Polizei? "Wenn ein Verstorbener kremiert werden soll, muss zuerst die Polizei eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen", sagt Katterbach. Einmal kremiert, gibt es kein Zurück mehr. Katterbach kümmert sich um die erste Abwicklung, darum, dass die Todesbescheinigung da ist, Beurkundungspapiere und andere notwendigen Unterlagen vorliegen und ein Fahrteam bereitsteht, bevor er sich am Tag danach Zeit für die Wünsche der Hinterbliebenen nimmt. Das betrifft die Musikauswahl für die Trauerfeier genauso wie die Art der Beisetzung. Mittlerweile würden sich die Kunden zwar zu 75 Prozent für eine reguläre Feuerbestattungen und eine Beisetzung auf einem Friedhof entscheiden, aber immer wieder gebe es auch ausgefallene Wünsche. Der wohl spektakulärste: Eine Weltraumbestattung, bei der ein Teil der kremierten Asche ins All getragen wird. "Das haben wir gemacht", sagt Kraus. Sind die Wünsche besprochen, wird Katterbach den Beerdigungstermin und alles dafür Notwendige koordinieren, etwa Sterbebilder drucken lassen oder die Abmeldung von Rente und Krankenkasse in die Wege leiten. Seine persönliche Checkliste für einen Todesfall umfasst etwa 20 solcher Punkte. Trotzdem läuft jeder Sterbefall anders ab.

Und doch wird der Tod als täglicher Begleiter irgendwann zur Normalität. Zu Beginn des Berufswegs sei vieles noch ungewohnt, sagt Robert Kraus. Auch er war einst Quereinsteiger, gelernter Müller. Nach dem Abschied aus dem ungeliebten Erstberuf wollte er schnell einen Job finden, der ausreichen würde, eine Familie zu ernähren und stieß auf das Bestattungswesen, das für ihn schnell zur Leidenschaft geworden ist. Eine einheitliche Ausbildung gab es damals noch nicht, der Quereinstieg war nicht ungewöhnlich. Schließlich das erste Mal einen Toten zu berühren, ihn anzukleiden, sei noch eigenartig gewesen. "Irgendwann kommt aber die Erfahrung. Und mit der Erfahrung musst du aufpassen, dass du nicht schludrig wirst", sagt Kraus. "Das wäre für mich als Bestatter, der den letzten Dienst am Verstorbenen tut, ein Albtraum." Um wen es sich bei dem Toten handelt, spielt dabei für Kraus keine Rolle. "Ob er Stadtrat ist oder Obdachloser, alle werden gleich behandelt."

So sieht es auch der Brucker Wolfgang Hödl. Der Umgang mit den Verstorbenen und dem Tod werde zwar normal, zur Routine dürfe er aber nie werden. Vielleicht hilft ja auch die Postkarte in Hödls Büro, die drohende Alltagsroutine ab und an zu durchbrechen. Dort steht als Erinnerung in geschwungener Schrift: "Es gibt auch ein Leben vor dem Tod." Darauf angesprochen, muss Hödl lachen, nur um kurz darauf ganz ernst zu werden. "Es heißt für mich, ich genieße die Zeit, die mir bleibt. Weil ich genau weiß, von heute auf morgen kann sie zu Ende sein."

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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