Lesung:Bedrückende Erinnerungen

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Eindrückliche Schilderung: der Schauspieler Uwe Kosubek bei der Lesung in der Stadtbibliothek Germering. (Foto: Günther Reger)

Der Schauspieler Uwe Kosubek liest aus dem Überlebensbericht der Autorin Dina Dor-Kasten

Von Zoe Englmaier, Germering

Der 9. November hat eine besondere Bedeutung in der deutschen Geschichte: die Ausrufung der Republik im Jahr 1918, der Hitler-Putsch 1923, die Pogromnacht 1938 und der Fall der Berliner Mauer 1989. Die Pogromnacht, Beginn der systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa, wird überall mit Deutschland in Verbindung gebracht. "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz", sagte der frühere Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede. Denn es wurden nicht nur Synagogen und jüdischer Privatbesitz zerstört, sondern auch Angehörige der jüdischen Bevölkerung misshandelt und ermordet. An dieses folgenschwere Verbrechen wurde am Freitagabend in Form einer Lesung in der Stadtbibliothek Germering erinnert.

Der Vorleser und Schauspieler Uwe Kosubek wählte das Buch: "Versteckt unter der Erde - Die Überlebensgeschichte der Familie Kasten" von Dina Dor-Kasten, 1940 geboren, aus. Darin erzählt die Autorin von ihren Eltern, die im März 1942 mit zwei Kindern aus einem von Deutschen eingerichteten Ghetto in der Ukraine fliehen. Zweieinhalb Jahre lang versteckt sich die Familie Kasten in einer eigenhändig gegrabenen Höhle in einem Wald. Bis zu ihrer Befreiung 1944 und der anschließenden Emigration nach Israel 1948, kämpfen Eltern und Kinder unter widrigsten Umständen um das Überleben.

Die Zuhörer lauschen erwartungsvoll und aufmerksam den Worten Kosubeks. Seine ruhige Stimme und die deutliche Aussprache werden der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht. Auch die Kunstpausen zwischen bedeutenden Sätzen sorgen für ein besseres Verständnis des Inhalts und schaffen Raum, um sich das Geschehene bildlich vorzustellen. Dies verstärkt Kosubek mit verschiedenen Stimmlagen, indem er lauter und schneller oder leiser und langsamer spricht. Auch ahmt er die im Buch beschriebenen Laute nach, wie zum Beispiel den Erkennungston der Familie im Wald.

So befinden sich die Zuhörer fast schon in der Geschichte und leiden mit den Kastens an Hunger, Kälte und Hoffnungslosigkeit. Beinahe können sie den bitteren Geschmack einer rohen Kartoffel auf ihren Lippen schmecken. Sie haben zusammen mit ihnen Angst vor den Gefahren des Waldes und den deutschen Soldaten und träumen den selben Traum von einem ganz normalen Leben. Die bedrückende Stimmung im großen, offenen Saal der Stadtbibliothek ist fast greifbar, als Kosubek endet.

Ernste, betroffene Gesichter blicken zu ihm und hängen in ihren Gedanken noch an einem Leben im Wald. Es erscheint, als befinde man sich in einem Kokon aus Erinnerungen an schreckliche Zeiten. So bleiben viele Zuhörer noch für Gespräche und Austausch da, denn niemand möchte in dieser Stimmung nach Hause gehen. "Mir hat die Lesung sehr gut gefallen, doch jetzt ist die Stimmung sehr bedrückend", erzählt Christiane Rehm aus Germering. "Ich bin froh, dass wir noch hier bleiben und Gespräche führen können." Es ist eben schwer, fast schon schier unmöglich, ohne eine emotionale Berührung von diesem Vortrag in sein alltägliches Leben zurück zu kehren.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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