Lebenslinien:Im Herzen des Fantastischen

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Die Brucker Kostümbildnerin, Modezeichnerin und Grafikerin Barbara Buchwald-Stummer ist jetzt 80 Jahre alt. Sie blickt zurück auf bewegte Jahre, die Arbeit mit bekannten Filmemachern und Schauspielern und viele schlaflose Nächte

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Eine Art surreale, aufs allerhöchste betörende Traumwelt hat sich die Künstlerin Barbara Buchwald-Stummer gemeinsam mit ihrem 1999 verstorbenen Mann, dem Bildhauer Hans Stummer, in ihrem Haus geschaffen. Dass es so einen von der Tristesse des Alltags entrückten Ort tatsächlich gibt, kann man sich schwer vorstellen, bis Barbara Buchwald-Stummer mit bescheidenem Gestus den Weg durch ihren kleinen wilden Garten direkt ins Herz des Fantastischen weist. Dort angekommen, offenbart sich ein Mekka für all jene, denen das Entdecken, das Sammeln, Stöbern und Staunen das Höchste auf der Welt ist. Auf dem Boden ruhen schwere Orientteppiche. Und von den Wänden ahnt man lediglich, dass es sie irgendwo unter exotischen Reisesouvenirs, Ölgemälden, Schaukästen, Schmuck, Kunstwerken und antiquarischen Büchern tatsächlich gibt, weil irgendetwas das Gewicht der teils skurrilen Exponate tragen muss.

Am 2. Januar ist die Grafikdesignerin, Kostümbildnerin und Modezeichnerin 80 Jahre alt geworden und in bester Buchwald-Stummer-Manier wurde gefeiert, mit Freunden, viel Gelächter und dem selbst erfundenen "Kopf-ab-Ritual". Was das ist? Buchwald-Stummer lacht. "Kennen Sie diese russischen Figuren, die man ineinander stapelt?", fragt sie. Die brauche man dafür. Außerdem noch eine gesellige Runde und eine Flasche Cointreau. Alles Weitere bleibt kryptisch und den Eingeweihten vorbehalten. Zudem wurde am 2. Januar zurückgeblickt, auf 80 aufregende Jahre einer außergewöhnlichen Frau.

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(Foto: Günther Reger)

Ein Leben für die Kunst: Gemeinsam mit ihrem Mann Hans Stummer hat Barbara Buchwald-Stummer auch Marionetten für Puppenspiele entworfen.

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(Foto: Günther Reger)

Eines ihrer jüngsten Werke ist "Der Geist, der stets verneint", kürzlich zu sehen in einer Ausstellung in der Brucker Sparkasse.

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(Foto: Günther Reger)

Über Buchwald-Stummers Atelier, Haus und Arbeiten wacht Kater Puco.

Barbara Buchwald-Stummer inmitten ihrer Arbeiten. In der Hand hält sie eine ihrer Grafiken mit Ludwig II. als Motiv.

17 Jahre war Barbara Buchwald-Stummer alt, als sie an der Münchner Meisterschule für Mode angenommen wurde. Von 1954 an studierte sie dort sechs Semester lang, von 1961 bis 1963 nahm sie außerdem das Studium der Gebrauchsgrafik an der Akademie für das grafische Gewerbe auf. Ein Jahr nach ihrem Abschluss kehrte sie als eine der jüngsten Dozentinnen zurück an die Modeschule, wo sie drei Jahre lang unterrichtete. Die für Buchwald-Stummer wenig reizvolle Aussicht auf ein Beamtenleben ließen sie die Dozentenlaufbahn schließlich schmeißen. Sie entschied sich für die Ungebundenheit der Freiberufler.

In den Siebzigerjahren reiste Buchwald-Stummer regelmäßig zu den großen Modenschauen nach Paris und Rom um die neuesten Entwürfe der Designer etwa für die Süddeutsche Zeitung in ihren von Kritikern hochgelobten Modezeichnungen festzuhalten. Denkt Buchwald-Stummer an diese Zeit, erinnert sie sich an Wallis Simpson, die ihr während einer der Schauen gegenüber saß, an einen flüchtigen Blick, den sie auf Coco Chanel erhaschte, an Wolfgang Joop, damals frisch in der Branche, der sie einmal nach dem Weg fragte. "Es kommt einem schon verrückt vor. Aber man gewöhnt sich schnell daran", sagt sie.

Später arbeitete sie viel mit ihrem Mann, Hans Stummer zusammen. "Unsere beiden Arbeitsweisen - das hat so gut gepasst", sagt sie. Die Nächte haben beide oft gemeinsam durchgearbeitet, wenn sämtliche Besucher verschwunden waren, wenn sie sich eingehüllt von Stille gegenseitig Inspiration waren: sie, zuständig für die Zeichnungen, er, für die Ausarbeitung von Marionetten, Masken und Figuren. "Morgens um sechs, halb sieben kam dann oft der Wagen vom BR und hat die fertigen Sachen abgeholt", sagt sie. Für den Bayerischen Rundfunk trug das Paar zu vielen Filmen bei, etwa zum "Weihnachtsspiel" von Orff oder zu Peter Grassingers "Musica poetica". Einer der Höhepunkte ihres künstlerischen Oeuvres war wohl die Mitarbeit an Hans-Jürgen Syberbergs Filmen "Parsifal" und "Hitler, ein Film aus Deutschland". "Damals hingen die ganzen Nazigrößen bei uns Zuhause herum", erinnert sich an die für den Film gefertigten Arbeiten. Intensiv sei das gewesen und grausig. Immerhin, für jeden ihrer Jobs betrieb sie akribische Recherchen, Vorarbeiten und Studien, setzten sich mit den Charakteren auseinander und legte jedes noch so kleine Detail der historischen Kostüme fest. Nicht nur für Syberbergs Hitler-Streifen, sondern unter anderem auch für den Further Drachenstich, zu Herbert Rosendorfers "Hexe von Schongau" oder das Brucker Historienspiel "Ludewig der Strenge".

Das Nähen, erzählt Buchwald-Stummer hat sie teils von ihrer Mutter, einer Schauspielerin, gelernt, sich teils selbst beigebracht. Nachdem ihr Vater an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben war, machte sich ihre Mutter mit einem Maskenverleih selbständig. Dort half auch sie mit. Die Liebe zu Kunst und Kultur wurde ihr nicht nur durch ihre Mutter, einer Schauspielerin, sondern auch durch den Vater, einem Grafik-Designer, in die Wiege gelegt. Und auch ihre Tochter Eva Behmer hat sich schließlich für den Beruf der Kostümbildnerin entschieden.

Über Barbara Buchwald-Stummers Atelier, Haus und Arbeiten wacht Kater Puco. (Foto: Günther Reger)

Heute arbeitet Buchwald-Stummer vor allem an Kunstobjekten. Für Absurdes hat sie dabei eine besondere Vorliebe. "Ich mag das Skurrile, alles, was leicht grenzwertig ist. Sonst langweile ich mich", sagt sie. Ob sie gerne provoziere? Sie bejaht. "Ich glaube das ist heute auch notwendig." Wie zum Beweis zieht sie aus einem Haufen Stoff ein bunt bedrucktes Tuch hervor. Das Muster: sich übergebende Frauenköpfe. "Das habe ich ,Überfressen' genannt." Inspiriert hat sie dazu ein Medienbericht. Nicht weit davon liegt eine Stoffbahn mit dem Aufdruck "Mückenlarven an Entengrütze". Anregung für ihre Arbeit könne sie grundsätzlich in allem finden, etwa in zwei zugelaufene Enten, die auf ihrem Gartenteich gelandet waren. "Dass man ein Auge für die Dinge hat und sie offen hält, ist wichtig." Und noch etwas anderes ist ihr wichtig. Sie zeigt auf ein Bild eines heulenden Wolfes: "Man muss lernen, zu brüllen", sagt sie. Angepasst, brav und still zu sein, ist für die 80-Jährige keine Option.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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