Landkreis:Lieber Studium als Ausbildung

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In knapp zwei Monaten beginnt das neue Lehrjahr. Doch im Landkreis sind noch immer 380 Stellen für Berufsneulinge nicht besetzt. Das liege auch an der zunehmenden Akademisierung, sagt die IHK

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Alle wollen Abitur machen und studieren, kaum mehr jemand möchte eine normale Berufsausbildung beginnen. So kann man die Klage der Betriebe zusammenfassen, die immer mehr Mühe haben, für ihre freien Ausbildungsplätze geeignete Lehrlinge zu finden. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) München und Oberbayern sind im Landkreis Fürstenfeldbruck knapp zwei Monate vor Beginn des Ausbildungsjahres noch 380 Ausbildungsstellen frei.

Im Vorjahr waren im Landkreis zum 1. September 250 Lehrstellen unbesetzt geblieben, 336 Jugendliche hatten damals eine Lehre bei IHK-angehörigen Unternehmen aufgenommen. Ein Hochschulstudium indes scheint für viele attraktiver zu sein. "Der Trend geht zur Akademisierung, die Zahl der Neueinschreibungen ist so hoch wie nie", weiß Michael Steinbauer, der Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses: "Das ist das Potenzial, das uns in der dualen Ausbildung fehlt."

Die Zahl der Studienanfänger in Deutschland ist innerhalb der vergangenen zehn Jahre von etwa 350 000 auf mehr als 500 000 pro Jahr angestiegen - bedingt auch durch neue Wege zum Abitur. Denn auch die Schülerzahlen an den Fachoberschulen (FOS) steigen, die Schüler mit Mittlerer Reife aufnehmen und zum Fachabitur oder allgemeinen Abitur führen. Dieser Weg wird weiter gefördert: Für jene Absolventen, die vom M-Zweig der Mittelschule kommen, wird künftig zum Beispiel auch an der FOS in Fürstenfeldbruck eine sogenannte Vorklasse eingerichtet, die hilft, den Übergang zwischen Mittelschule und 11. Klasse an der FOS erfolgreich zu gestalten. Unter diesen Rahmenbedingungen einer zunehmend als unerlässlich eingeschätzten höheren Bildung suchen junge Menschen ihre berufliche Laufbahn vor allem über ein Hochschulstudium.

Dabei "sind die Chancen, mit einer Lehre im Berufsleben durchzustarten, so gut wie noch nie", betont Steinbauer. Denn die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen sei durch die gute Wirtschaftslage und den drohenden Fachkräftemangel "ungebrochen hoch". Die Betriebe dürften sich deshalb gefreut haben, als Landratsstellvertreterin Martina Drechsler (CSU) bei den FOS/BOS-Abschlussfeiern darauf hingewiesen hatte, dass die Nachfrage nach qualifizierten jungen Leuten groß sei.

Der Bewerbermangel betrifft sämtliche Branchen. Auch angehende Bankkaufleute, Handelsfachwirte oder Fachwirte für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen werden nach Angaben Steinbauers gesucht. Besonders dramatisch ist der Mangel an Auszubildenden im Landkreis jedoch in Handwerk und im Handel. Mehr als 130 Stellen sind für Einzelhandelskaufleute, Verkäufer und Fachverkäufer noch frei. Für Lebensmittelverkäufer in Bäckereien, Metzgereien oder Supermärkten gibt es laut IHK 22 offene Lehrstellen, aber keinen einzigen Interessenten.

Gleichzeitig aber haben im Landkreis etwa 400 Bewerber noch keine Lehrstelle gefunden. Die Situation stellt sich freilich nicht nur in Bruck so dar. "Zunehmende Passungsprobleme" nennt das "Bundesinstitut für Berufsbildung" (BIBB) in seinem Datenreport 2016 das Phänomen, dass Plätze frei und gleichzeitig Bewerber unversorgt bleiben. "Es wird offensichtlich von Jahr zu Jahr schwieriger, das betriebliche Ausbildungsangebot und die Nachfrage der Jugendlichen nach Ausbildungsplätzen zusammenzuführen."

Die Betriebe richten deshalb vermehrt ihren Blick auf den Einsatz von Flüchtlingen. Laut nationalem Bildungsbericht beträgt der Anteil der Azubis mit Migrationshintergrund derzeit 24 Prozent. Die IHK möchte, dass das nunmehr im Integrationsgesetz festgeschriebene 3+2-Modell für Flüchtlinge schnellstmöglich umgesetzt wird. Demnach dürfen Asylbewerber, die eine Ausbildung absolvieren, in den drei Jahren der Ausbildung und den folgenden zwei Jahren nicht abgeschoben werden. "Viele Unternehmen sehen in diesem Personenkreis Potenzial für ihre freien Ausbildungsplätze", sagt Steinbauer, aber bislang scheiterten Einstellungen häufig an der mangelnden Planungssicherheit und den vielen bürokratischen Auflagen. Ein erstes Reservoir im Landkreis könnten jene 60 jungen Flüchtlinge bilden, die derzeit an der Berufsschule in eigenen Berufsintegrationsklassen Unterricht erhalten.

Allerdings müssten die Betriebe und ihre Berufsorganisationen verstärkt für die eigenen Anliegen "auch die Werbetrommel rühren", fordert Steinbauer: etwa frühzeitig mit Schulen und Eltern ins Gespräch kommen oder sich um jene Absolventen bemühen, die ein Studium abbrechen oder die Wartezeit bis zur Zulassung absitzen. "Das Ganze ist auch ein gesellschaftliches Thema", sagt Steinbauer.

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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