Komödie:Blutgetränkte Baumwollfluse

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"Das Ding" ist ein Stück Baumwolle, dessen Daseinszyklus das Theater 5 von der Ernte bis zur Wiederverwertung auf die Bühne bringt. (Foto: Günther Reger)

Dem Fürstenfeldbrucker Theater 5 gelingt mit der Premiere von "Das Ding" ein raffiniertes Sinnbild der globalisierten Welt

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Am Anfang war da dieser Fleck. Ein roter Fleck mitten auf der Brust von Aline Pronnet, der auffällt, weil sie, wie die anderen Darsteller auch, ganz in Weiß gekleidet ist. Auf dem Boden um sie herum bauscht sich ein weißer Textilberg, im Kreis sind weiße Stühle aufgereiht, auf denen, man ahnt es schon, auch die Requisiten in Weiß bereit liegen. Weil der Bühnenraum so steril wirkt, so betont unsexy trotz der halbnackten Menschen, die in ein Laken gehüllt beieinander sitzen, ist sofort klar, dass dieser blutrote Fleck auf der Unterwäsche einer Frau in der Inszenierung von Christoph Leibold eine Schlüsselrolle spielen wird. Mit dem Theater 5 hat Leibold, der eigentlich als Kulturjournalist tätig ist, Philipp Löhles Komödie "Das Ding" in Szene gesetzt. Das Ergebnis ist nun in den Räumen der Neuen Bühne Bruck zu sehen.

Der rote Fleck ist nicht der einzige visuelle Reiz, der Leibolds Bühnenästhetik prägt. In der Tat ist seine Herangehensweise an Löhles Drama plakativ und bildlastig, ohne dabei an Feinsinnigkeit einzubüßen. "Das Ding" schildert den Daseinszyklus einer Baumwollfluse und erzählt, was diese auf ihrer Reise von der Ernte in Afrika über die Verarbeitung zum "Made in China"-Fußballtrikot bis zur Wiederverwertung in der Altkleidersammlung erleben würde, wäre sie ein denkender Organismus. Die diversen Ethnien, auf die die Fluse dabei trifft, kennzeichnet Leibold durch verschiedenfarbige T-Shirts: Schwarz für den Afrikaner, Gelb für den Chinesen, die Nationalflagge für den Schweizer. Dass die Farbe Weiß in seiner Inszenierung des Globalisierungsdramas die Bühne dominiert, ist ein eindeutiger Kommentar zum Weltgeschehen, der niemals ausgesprochen wird und in dem Dargestellten doch permanent mitschwingt

Das Raffinierte an Löhles Stück ist nicht nur, dass es den Lebensweg der Fluse aufs Engste mit den Biografien der menschlichen Charaktere buchstäblich verwebt, sondern auch, dass die Vernetzung jener Schicksale über Kontinente und Generationen hinweg einer Globalisierung im Kleinen gleichkommt. Diese Idee wird bei Leibold durch eine wandfüllende Weltkarte als Hintergrundbild optisch greifbar gemacht. Zunächst, wenn in der ersten Szene, einer Art Prolog zur folgenden Handlung, der Seefahrer Magellan dem portugiesischen König mit wenigen Linien seine neu entdeckte Route zu den Gewürzinseln illustriert, ist die Karte noch nahezu leer. Am Ende jedoch, nachdem sie nach und nach mit all den globalen Verknüpfungen versehen wurde, die sich im Laufe des Stücks ergeben haben, gleicht sie dem Schaubild auf der Facebook-Startseite.

Einen Erzählstrang bildet die Beziehung von Katrin und Thomas, gespielt von Aline Pronnet und Matthias Weber. Die beiden waren einmal verliebt, jetzt ist sich zumindest Katrin da nicht mehr so sicher. Deshalb probiert sie sich aus und zeigt sich nackt im Internet. Einer ihrer Online-Voyeure ist Li (Andreas Beer). Mit seinem Geschäftspartner Wang (Eva-Maria Gruber) hat er in China das Trikot produziert, das Katrin sich auszieht. Er verliebt sich in seine Porno-Prinzessin, reist nach Europa, um sie zu besitzen und wird wenig später für den blutigen Fleck auf demselben Baumwollshirt verantwortlich sein. Jenes hat Katrin von ihrem Bruder Patrick (Eva Giesler) bekommen, der beinahe Fußballprofi geworden wäre, nun aber ungewollten Ruhm aufgrund eines unüberlegt geschossenen Fotos genießt, das einen Kunst-Preis gewonnen hat. Sozusagen am Anfang stehen Beat (Gruber) und Siwa (Beer): Der Schweizer Schein-Gutmensch setzt auf Bio-Baumwolle, während sich sein afrikanischer Mitarbeiter um die Zukunft seiner Tochter Fela (Lotta Leibold) sorgt.

Alle Darsteller zusammen sprechen die Fluse, das Ding, wie sie durchgehend genannt wird, in chorischen Szenen und aufgeteilten Sprechakten. Doch auch jede Rolle für sich ist intensiv ausgespielt. Gänsehaut-Momente sind Andreas Beers Ausraster, als Siwa feststellen muss, dass er sich auf den falschen Helfer verlassen hat, oder die sicht- und hörbare Hilflosigkeit, womit Eva Giesler Patricks Selbstkrise unübersehbar macht. Nach dem Ausagieren all dieser Emotionen ist von der klinischen Sauberkeit des Bühnenbilds am Ende nichts mehr übrig. Wie die blutbefleckte Baumwolle ist nun das weiße Laken von den bunten T-Shirts durchdrungen. Leibolds Inszenierung endet wie sie begonnen hat: mit einem textilen Sinnbild für eine globalisierte Welt, das vieles bedeutet und einen dabei doch ohne ein moralisches Dogma in jene Welt zurück entlässt.

Das Ding, Theater 5, Neue Bühne Bruck: 30. Juni sowie 3., 6., 9., 12., 20. und 21. Juli, je um 20 Uhr

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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