Kommentar:Zwischen Hoffen und Bangen

Lesezeit: 1 min

Bei den prognostizierten Wachstumszahlen kann einem schon mal schwindlig werden

Von Gerhard Eisenkolb

Der Mangel an Baugrundstücken oder Grundstückspreise von bis zu 1200 Euro für den Quadratmeter sind keine Wachstumsbremse. Ganz in Gegenteil. Ist Boden knapp und teuer, werden im östlichen, städtischen Ballungsraum Einfamilienhäuser eben durch Mehrfamilienhäuser ersetzt. Das ist seit Jahren Praxis, ohne dass Kommunalpolitiker sich Gedanken machen, wie sehr dieser Trend den Landkreis in zwei Jahrzehnten verändern wird. Zu oft hecheln die Kommunen dieser Entwicklung hilflos hinterher, anstatt sie offensiv zu gestalten. In einer solchen Situation kann älteren Landkreisbewohnern angesichts der Aussicht, dass in absehbarer Zeit in Städten wie Germering oder Fürstenfeldbruck 50 000 Menschen und im Landkreis in zweieinhalb Jahrzehnten 260 000 bis 300 000 Menschen leben könnten, schon mal schwindlig werden.

Mit der unaufhaltsamen Urbanisierung der Ostgemeinden holt die Großstadt München nicht nur ihre früheren Stadtflüchtlinge ein. Diejenigen, die mal nach Eichenau oder Gröbenzell zogen, um im Grünen in einem beschaulichen Umfeld zu leben, müssen um die Lebensqualität ihres Wohnviertels fürchten. Das Identitäts- und Qualitätsmerkmal des Landkreises schlechthin, auf dem Land in Großstadtnähe zu wohnen, wird durch die stürmische Entwicklung konterkariert. Aufhalten oder umkehren lässt sich dieser Trend sowieso nicht mehr. Die einzige Chance besteht darin, gemeinsam das Beste daraus zu machen und aus Fehlern zu lernen. Das setzt voraus, dass sich die Kommunen auf gemeinsame Konzepte einigen.

Erste Ansätze dazu zeichnen sich nach neun Monaten Arbeit bei der vom Landkreis und von sechzehn Kommunen angestoßenen Struktur- und Potenzialanalyse ab. Die Bürger und Politiker, die sich bei den öffentlichen Workshops äußern, geben den Zwiespalt wider, in dem der Landkreis steckt. Es ist ein Schwanken zwischen Hoffen und Bangen. Man will zwar behutsam weiter wachsen, aber nur in einem verträglichen Maß. Obwohl die Strukturanalyse das wichtigste Zukunftsprojekt für den Landkreis ist, ist es erschreckend, wie wenig Resonanz diese Arbeit findet. Dabei gibt es gute Ansätze zum Umdenken als da sind das Planen von der Landschaft aus, ein Landschaftspark, die Warnung vor weiteren gigantischen Gewerbegebieten und der Vorschlag, an öffentlichen Verkehrsknotenpunkte endlich Wohnen mit neuen, hochqualifizierten Arbeitsplätzen zusammenzubringen. Die spannendste Frage kann erst die Umsetzung beantworten. Ist es wirklich möglich, die Wachstumsfolgen durch eine bessere Planung und ein damit hochwertigeres Lebensumfeld abzumildern?

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: