Kommentar:Solide Beweise statt Vorurteile

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Warum eine Satzung gegen Bettler nicht nötig ist

Von Peter Bierl

Wir leben in einer der wohlhabendsten Regionen in einem der reichsten Länder des Planeten. Wir wollen nichts abgeben, sondern immer mehr, auch wenn die Welt zugrunde geht. Ein Inlandsflug zum Shoppen, möglichst billiges Benzin, der neue SUV - leider geil. Mit den Folgen wollen wir nicht behelligt werden. Wenn uns der Anblick von Behinderten den Urlaub vermiest und wir schon keine Kindergärten, Obdachlosenunterkünfte und Irrenanstalten in der Nachbarschaft haben wollen, dann ist auch Null-Toleranz für Asylbewerberheime oder bettelnde Rumänen angesagt. Diese Haltung liegt im Trend, wie diverse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Das ist die wahre Philosophie vieler vermeintlich aufgeklärter und zivilisierter Mitteleuropäer, die abendländische Werte verteidigen, die Geisteshaltung, die hinter einer "Sondernutzungssatzung" gegen Bettler steckt, die der Brucker Stadtrat schon vor Jahren verabschiedete und die in Germering bald Nachahmer finden könnte.

Klar ist: Kinderarbeit und Einbrüche, Betrug und Nötigung, Formen von Sklaverei und Zwangsarbeit sind als kriminelle Handlungen zu verfolgen und zu ahnden. Das gilt in jedem Fall, auch im Kontext der Bettelei, unabhängig von der Herkunft und Biografie des Täters. Arme Menschen sind ebenso wenig wie Asylbewerber edle Wilde, sondern Menschen wie du und ich. Um gegen kriminelle Handlungen vorzugehen, braucht es allerdings keine örtlichen Satzungen, dafür reicht das Strafgesetzbuch. Notwendig sind aber solide polizeiliche Ermittlungen, die Beweise erbringen. Dass Passanten und Geschäftsleute von Bettlern genervt sind und sich beschweren, weil Umsätze und Einkaufsatmosphäre leiden könnten, reicht nicht aus.

Wenn Kommunalpolitiker solchen Stimmungen nachgeben, wird es gefährlich. Am Ende könnte tatsächlich eine historische Errungenschaft des Westens zerstört werden, die uns lieb und teuer sein sollte, das rechtsstaatliche Verfahren, wonach Verurteilung und Strafe auf solidem Tatnachweis gründen müssen - und nicht auf Ressentiments und Denunziation.

© SZ vom 11.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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