Kommentar:Offenheit tut gut

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Warum es gut ist, Frauenhäuser die Anonymität zu nehmen

Von Ariane Lindenbach

Ein Frauenhaus, von dem jeder weiß, wo es ist? Im ersten Moment ist man geneigt, die Nachricht für einen vorverlegten Aprilscherz zu halten. Wie sollen denn dann all die Frauen geschützt werden, die mit oder ohne Kinder von ihren gewalttätigen Partnern geflohen sind, fragt man sich unweigerlich. Über Jahrzehnte war es doch gängige - und scheinbar gut funktionierende - Praxis, die Frauen, die bereits in ihrer Partnerschaft zu Opfern wurden, unter strenger Geheimhaltung in Frauenhäusern unterzubringen. Von diesen Einrichtungen wusste möglichst niemand außer Mitarbeitern und Betroffenen, wo sie sich überhaupt befinden. Mit einer Flucht in die Einsamkeit und Anonymität also mussten die bereits von ihren Partnern misshandelten Frauen ein weiteres Mal leiden: Unter Einsamkeit, Anonymität, dem Verlust des gesamten sozialen Umfeldes.

Es ist aus mehreren Blickwinkeln begrüßenswert, dass die Betreiberinnen des Frauenhauses vom Verein "Frauen helfen Frauen" sich von diesem Konzept nun verabschieden und das Frauenhaus für die Öffentlichkeit sichtbar machen wollen. Zunächst einmal ist die Geheimhaltung in Zeiten von Smartphone, Internet und Minikameras ohnehin nur noch bedingt aufrecht zu halten. Ein anonymes Frauenhaus verspricht also womöglich einen Schutz, den es schon gar nicht mehr anbieten kann.

Viel wichtiger aber sind die Symbolik und die dahinter stehenden Gedanken. Frauen, die vor ihren Partnern in ein Frauenhaus flüchten müssen, sind Opfer. Und so lange sie sich nach der Trennung weiter im Verborgenen aufhalten, vor ihrem Partner verstecken müssen, werden sie ein zweites Mal zu Opfern. Wer schon einmal in einer Krise von seinen Freunden oder seiner Familie aufgefangen worden ist, kann vielleicht ein bisschen nachvollziehen, wie gravierend es sein muss, in einer dramatischen Trennungsphase auch noch auf sein gesamtes Umfeld verzichten zu müssen. Mit dem Schritt hinaus aus der Anonymität heilen die Vereinsmitglieder von Frauen helfen Frauen diese Wunde.

Darüber hinaus wird der Schritt in die Öffentlichkeit hoffentlich auf längere Sicht auch zu Veränderungen im öffentlichen Bewusstsein führen. Denn so lange sich die weiblichen Opfer häuslicher Gewalt verstecken müssen, wird das Problem in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen. Sind diese Frauen und mit ihnen auch die Problematik gewaltbereiter Männer aber sichtbar, wird langfristig auch der gesellschaftliche Druck zunehmen. Hoffentlich.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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