Kommentar:Fahrlässige Doppelmoral

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Zahlreiche Kampagnen sollen Kinder und Jugendliche im Landkreis vor Alkoholmissbrauch schützen. Und dann genehmigt eine Puchheimer Schule die Veranstaltung eines Brauerei mit Bierübergabe in der Aula. Ein Eigentor.

Von Peter Bierl

Früher gehörte Saufen und Rauchen zum guten Ton - zumindest unter echten Kerlen. Die Zeiten haben sich geändert. Junge Leute müssen den Ausweis vorzeigen, wenn sie Alkohol kaufen wollen, es gibt Präventionsangebote, Aufklärung und Beratung innerhalb und außerhalb der Schule in Hülle und Fülle, etwa bei der Beratungsstelle der Caritas oder im Jugendamt des Landkreises, das sich an der Kampagne "Bunt statt blau" beteiligte. Die Mitarbeiter organisieren seit Jahren die Halt-Festivals, Feiern ohne Alkohol, heuer in Jugendzentren.

Trotz aller Anstrengungen führt jedoch für allzu viele der Weg von der Party in die Notaufnahme der Kreisklinik. Neulich brachte sich eine Gruppe stark angetrunkener Gymnasiasten in Gefahr, die auf Dach und Baugerüst ihrer Puchheimer Penne kletterten. Komasaufen von Kindern und Jugendlichen zählt zu den hartnäckigen Problemen. Der Anstieg der Fälle im Landkreis lag nach Angaben einer Krankenkasse weit über dem bundesweiten Schnitt.

Deshalb muss man sich fragen, wie benebelt die Werbestrategen einer großen Brauerei und einer Brucker Eventagentur waren, als sie sich eine Übergabe mehrerer Kisten Bier auf offener Bühne vor jugendlichem Publikum in der Aula der Realschule Puchheim ausdachten. Und wie mag es um die pädagogischen Fähigkeiten und die Vorbildfunktion eines Sportlehrers bestellt sein, der sich so feiern lässt? Die Verantwortlichen hätten seine Ehrung als Torschützenkönig der Landesliga Südwest ja nutzen können, um für das alkoholfreie Sortiment zu werben. Stattdessen erzählte der Sportlehrer auf der Bühne noch, er habe seinen Mannschaftskameraden nachgegeben, die "richtiges" Bier eingefordert hatten.

Das war keine pädagogische Glanzleistung, aber irgendwie typisch für diese Gesellschaft: Einerseits viel Geld und Trara für Prävention, Kampagnen wie "Keine Macht den Drogen" oder Parolen wie "Genuss mit Verantwortung", die sich jene Brauerei auf die Homepage geschrieben hat. Tatsächlich herrschen oft Gedankenlosigkeit und Schizophrenie gegenüber den Folgen des eigenen Tuns, die allerdings in der freien Wirtschaft regelmäßig zum Erfolg führen.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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