Kommentar:Den Blickwinkel erweitern

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Die Demonstration in Eichenau wird zwar kaum einen politisch Verantwortlichen erreichen, dennoch stellt sie die richtigen Fragen

Von Peter Bierl

Im Zeitalter der Postmoderne räumen Politiker keine Fehler ein, sondern behaupten, sie seien nicht richtig verstanden worden. Statt ihren Kurs zu ändern, wollen sie die Kommunikation verbessern. Politik ist heute weniger das Bohren dicker Bretter als ein Tsunami aus Ankündigungen, Aktionismus und Talkshows, während sich viele Probleme zuspitzen, so auch die Lage vieler älterer Menschen. Das zeigt sich an Mini-Renten und Altersarmut bis hin zu unzureichender Pflege und Heimskandalen.

Insofern ist es gut, dass die Leitung des Pflegezentrums in Eichenau den Internationalen Tag der Pflege zu einer Protestkundgebung genutzt hat. Etwa 100 Mitarbeiter und Bewohner appellierten an die Politiker, zu handeln und die Pflege zu verbessern. Das wird kaum reichen. Eigentlich müssten noch viel mehr Leute aktiv werden und auf die Barrikaden gehen. Alle Heimbewohner und Pfleger, Sozialverbände, Gewerkschaften und Seniorenbeiräte müssten solche Demonstrationen veranstalten, auch mal direkt vor der Haustüre von sogenannten Verantwortungsträgern.

Denn die Misere der Pflegeberufe ist sowenig überraschend wie der demografische Wandel. Der Anteil der Älteren und der Pflegebedürftigen wird steigen, im Landkreis wie in der ganzen Republik, um damit die Zahl der Hilfebedürftigen. Ein Drittel der Landkreisbürger wird 2030 zur Generation 60 plus zählen.

Oft zu hören ist das Lamento, immer weniger junge Erwerbstätige müssten eine wachsende Zahl von Alten auf ihren Schultern tragen. Das ist Ignoranz und eine Hetze, die der Begriff Rentnerschwemme deutlich gemacht hat. Es gilt, den Blickwinkel zu erweitern. Die Forderung aus Eichenau, darüber nachzudenken, welche Pflege wir haben wollen, erschöpft sich nicht in der Frage nach Pflegebeitragssätzen. Eigentlich sollte es gar kein Problem sein, allen einen materiell sorgenfreien Lebensabend zu ermöglichen, sie nach dem Stand der ärztlichen Kunst zu versorgen und bei Bedarf mitqualifiziertem Personal ordentlich zu pflegen. Denn wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, dank hoher Arbeitsproduktivität. Es geht wie bei vielen Themen um die grundsätzliche Frage nach Verteilung und Verwendung des gesellschaftlich produzierten Reichtums.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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