Historie:Revolutionäre und Hakenkreuzler

Lesezeit: 3 min

Blick auf die Limonadenfabrik: In dem Haus in Unterpfaffenhofen, in der heutigen Otto-Wagner-Straße, hat Ludwig Streb sein Geschäft eingerichtet. Im Garten sind Strebs Frau Anna und sein Sohn Fritz zu sehen (das Foto ist nachkoloriert). Repro: E Fototreff Germering (Foto: N/A)

Der Germeringer Journalist Hans-Dieter Götz stellt neue Erkenntnisse über die Anfangsjahre der Weimarer Republik im Landkreis vor. Als Grundlage dienen ihm die Berichte eines Puchheimer Gendarmen

Von Peter Bierl, Germering

Viele Arbeiter in den Siedlungen von Neugermering, Harthaus, Eichenau, Puchheim-Bahnhof, Gröbenzell und Olching hatten die Schnauze voll. Sie waren enttäuscht, weil zwar Kaiser und König gehen mussten, aber Politiker, Kapitalisten und Junker, die für den Weltkrieg getrommelt hatten, auch dank SPD wieder fest im Sattel saßen. So ist zu erklären, dass Kommunisten und Linkssozialisten in den kleinen proletarischen Quartieren nach der gescheiterten Novemberrevolution von 1918 auf Resonanz stießen. Die Reaktion folgte auf dem Fuß: Zuerst rechtsgerichtete Einwohnerwehren, im Frühjahr 1923 tauchten "Hakenkreuzler" in der Gegend auf. Diese neuen Erkenntnisse zur Geschichte des östlichen Landkreises hat der Journalist Hans-Dieter Götz aus Germering zusammengetragen und am Donnerstag in der Stadthalle präsentiert. Götz ist in den Archiven in Germering und München fündig geworden. Seine wichtigste Quelle sind die Berichte des Gendarmen Josef Hahn.

Hahn war 1911 nach Puchheim versetzt und zum Kommandanten der kleinen Station in der Bergstraße im Altdorf ernannt worden. Während der kurzen Phase der Räterepublik in München drängten ihn Rotgardisten aus dem Amt. Als Sicherheitskommissär war er ab 1922 für die Überwachung politischer Gruppen zuständig. In Germering und Unterpfaffenhofen formierte sich eine Ortsgruppe der USPD, in Puchheim entstand 1925 eine starke kommunistische Sektion, notierte Hahn. Dass die Linken ausgerechnet in den Siedlungen im Osten Anhänger hatten, war kein Zufall, sondern hing mit der proletarischen Basis zusammen. Die meisten Anhänger und Aktivisten arbeiteten im Ausbesserungswerk der Reichsbahn in Neuaubing, im Reginawerk in Emmering, wo Kalksandsteine produziert wurden, oder waren Handwerker und Torfarbeiter.

Im Mai 1923 berichtete Hahn seinen Vorgesetzten erstmals über eine SA-Gruppe in Eichenau, einen Monat später hatte er herausgefunden, dass die Truppe 70 Mitglieder zählte, die Puchheimer SA sogar an die 100 Mann. Nach dem Hitlerputsch im November verschwanden die Nazis im Untergrund, ähnlich wie die sogenannten Einwohnerwehren, die sich unmittelbar nach der Niederschlagung der Räterepublik formiert hatten. Dabei spielte Julius Einhorn, der Direktor der Hausmüll-Fabrik in Puchheim, als Organisator eine wichtige Rolle. Nach dem Umsturz im November 1918 hatte sich Einhorn in den lokalen Bauernrat wählen lassen, weil zum Betrieb eine Landwirtschaft gehörte. Einhorn ist ein Musterbeispiel dafür, wie politisch heterogen diese Räte waren und sich etwa im Landkreis eher als Hilfssheriffs der bayerischen Verwaltung betrachteten.

Die Einwohnerwehren richteten sich einerseits gegen die Linke, andererseits waren sie ein Instrument, um eine deutsche Abrüstung zu unterlaufen, die die Alliierten verlangten. Auf deren Drängen hin wurden diese Verbände 1921 offiziell wieder aufgelöst, wobei Götz einige Belege dafür gesammelt hat, dass lokale Führer die meisten Waffen behielten und versteckten, etwa auf einem Bauernhof in Alling.

Der Titel "Revolution am Stadtrand" für die Veranstaltung war pfiffig gewählt, aber nicht ganz zutreffend. Denn vor allem referierte Götz fast eine Stunde lang über Weltkrieg und Novemberrevolution im allgemeinen. Dabei mühte er sich, zu relativieren, dass die deutsche und österreichische Führung die Hauptschuld daran trugen, dass die Krise im Sommer 1914 zum Krieg führte. Beide Mächte sahen die Chance, ihre alten ökonomisch und rassistisch motivierten Expansionspläne zu verwirklichen und schlugen Vermittlungsversuche aus. Hingegen stützte sich Götz auf das Buch "Die Schlafwandler" (2014) von Christopher Clark, wonach alle europäischen Regierungen gleichermaßen blind gewesen seien. Der Bestseller gefiel seinerzeit allen Politikern und Journalisten, die die deutsche Schuld kleinreden wollen, wurde aber von den meisten Fachhistorikern als fehlerhaft und entstellend verrissen.

Das schmälert nicht das Verdienst von Götz, Licht auf die politische Lage in den Anfangsjahren der Weimarer Republik im Landkreis zu werfen, optisch gut in Szene gesetzt durch Dieter Müller von der Gruppe Fototreff. Von der Revolution, allerdings in München, handelte nur die Geschichte des Schlossers Ludwig Streb, und die endete Jahre später in der Vorstadt. Streb war Schlosser in der Lokomotivfabrik Krauss an der Donnersbergerbrücke und wurde in den Betriebsrat gewählt, der versuchte, den Chef loszuwerden.

Die Kollegen schickten Streb in den Münchner Arbeiterrat, wo er am 28. April 1919 in den Aktionsausschuss, quasi die Räteregierung, gewählt wurde. Der Schlosser wurde Volksbeauftragter für Zentralwirtschaft, übte das Amt aber nur einen Tag aus, bevor er untertauchte. Streb überlebte so das blutige Massaker mit über tausend Toten, das die Regierungstruppen anrichteten. Schon im Juli tauchte er wieder als Betriebsrat bei Krauss auf, berichtete Götz. Später übernahm er die Betriebskantine der Fabrik, bevor er sich in Unterpfaffenhofen eine neue Existenz aufbaute.

Streb stellte auf seinem Grundstück an der heutigen Otto-Wagner-Straße Sprudelwasser und Limonade her und handelte mit Kohlen. Als 1935 Wifo-Tanklager und Siedlung entstanden, eröffnete er ein Lebensmittelgeschäft; er spekulierte auf die Kaufkraft der Neubürger. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er gerne erzählt hatte, für einen Tag ein "roter Minister" gewesen zu sein, erzählte Götz. Ein Konkurrent schwärzte ihn an und Streb musste seinen Laden an einen Auswärtigen mit NSDAP-Parteibuch verpachten.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: