Hans-Jürgen Gulder im SZ-Interview:"Wo bleibt die übergemeindliche Zusammenarbeit?"

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Der scheidende Chef des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Fürstenfeldbruck warnt vor einer fortschreitenden Flächenversiegelung und der unkoordinierten Ausweisung von Gewerbegebieten. Und er bricht eine Lanze für die Windkraft

Interview von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Aktenordner mit Aufschriften wie "Ergebnisse forstlicher Forschung" stehen im Regal. Darauf eine Topfpflanze, an der Wand ein paar Bilder und ein Kalender mit Pflanzenmotiven der "Bergwald-Offensive". Es ist das Amtszimmer von Hans-Jürger-Gulder. Ende des Monats geht der Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ruhestand, Nachfolger ist Ministerialrat Günter Biermayer. Im SZ-Interview mahnt Gulder weitere Anstrengungen beim Umbau zum Mischwald an und übt harsche Kritik an den Gegnern des dritten Windrads, das nahe dem Grünen Zentrum in Puch geplant war. Beim Blick durchs Fenster sind die beiden Windräder der Brucker Stadtwerke zu sehen und in der Ferne sogar die vier Windräder bei Odelzhausen.

SZ: Sie haben sich ihr Büro wohnlich eingerichtet. Aber man merkt, dass das Grüne Zentrum noch ziemlich neu ist.

Hans-Jürgen Gulder: Der Bau des Grünen Zentrums war das größte und erfolgreichste Vorhaben in meiner zehnjährigen Amtszeit. Die vier alten Ämter in Dachau, Landsberg und Fürstenfeldbruck wurden aufgelöst und hier in Puch fusioniert. In Zeiten des permanenten Personalabbaus eine gewaltige Effizienzsteigerung. Dies schon allein deshalb, weil die wertvolle Arbeitszeit nicht mehr auf der Straße bleibt. Da sparen wir uns viele Stunden. Besondere Freude macht das großzügige Ambiente - die Korridore sind hell und weit, der Eingangsbereich großzügig und repräsentativ. Von Behördenmief ist hier nichts zu spüren. Es gibt einen großen Parkplatz, so dass unsere Besucher nicht mehr, wie früher an der Bismarckstraße, erst lange suchen müssen und dann mit schlechter Laune das Amt betreten.

Wird das von den Besuchern honoriert?

Ja. Die Landwirte warten bequem im Erdgeschoss in entspannter Atmosphäre auf den Sachbearbeiter für ihren Mehrfachantrag. Während der Wartezeit ergibt sich zudem oft ein Fachgespräch mit einem zufällig vorbeilaufenden Berater einer anderen Abteilung. Wir erleben also Synergien. Unschlagbar und bayernweit einzigartig ist unsere zentrale Lage im Dorf. Kirche, Pfarrhaus, Maibaum und Grünes Zentrum bilden ein ansprechendes Ensemble. Dass wir gleichzeitig nahe zu den Feldern und dem Wald liegen, stellt eine symbolische Bindung zu unserem Aufgabenbereich her. Auch sind wir von den Pucher Bürgern freundlich aufgenommen worden. Das erkennt man unter anderem daran, dass wir beim Aufstellen des Maibaums helfen dürfen oder enge Kontakte zum örtlichen Gartenbauverein pflegen.

Multitalent Wald: Er ist Kohlestoffspeicher, verhindert Erosion, ist Refugium für Tiere und ein wohnortnahes Erholungsgebiet. (Foto: Johannes Simon)

All die Windräder da draußen - ist das die Zukunft der Landwirtschaft?

Es könnte ein Standbein für Landwirte sein. Daher ist es mehr als bedauerlich, dass die Bayerische Staatsregierung die 10-H-Regelung durchgesetzt hat. Das verhindert, dass Landwirte viel stärker an der Erzeugung regenerativer Energien beteiligt werden können. Als engagierter Befürworter der Windkraftenergie war es für mich sehr deprimierend, dass sich ein Teil der Pucher Bürger im Verbund mit der katholischen Kirche gegen ein drittes Windrad ausgesprochen hat. Ein schmerzhaftes Erlebnis, zumal ich gerade von der Kirche mehr Engagement für eine lebenswerte Zukunft erwartet hätte.

Würden Sie heute noch einem jungen Mensch raten, Landwirt zu werden?

Auf jeden Fall. Das ist nach wie vor ein sehr abwechslungsreicher Beruf. In welcher Branche kann man denn heute noch zu Hause arbeiten, hat immer die Familie um sich und keinen Stress mit der täglichen Pendlerei? Zudem trifft der Landwirt als Unternehmer unabhängig und eigenverantwortlich seine Entscheidungen. Schließlich arbeitet er in der freien Natur. Was dies bedeutet, kann ich als Förster besonders gut nachvollziehen.

Solche Begeisterung trotz all der Entwicklungen, trotz Globalisierung, Auflagen durch die EU, trotz all der Formalien?

Das ist in allen anderen Berufszweigen auch so. Allerdings verlangt man den Landwirten schon besonders viel ab. Die Bauern müssen immer mehr das Rad drehen, müssen immer schneller größere Investitionen tätigen und die laufend verschärfte Gesetzgebung aus Brüssel, Berlin, München umsetzen. Das geht oft an die Schmerzgrenze. Bestes Beispiel dafür ist die zunehmende gesellschaftliche Diskussion um das Tierwohl. Baut also ein konventionell wirtschaftender Milchviehhalter eine Freilaufstall für 60 Kühe, muss er mal schnell eine Million Euro in die Hand nehmen. Dass dies nicht ohne Kreditaufnahme geht, ist klar. Die Arbeit der Landwirte auf dem Feld ist ja für jeden Bürger einsehbar. Dieser Umstand prägt zwangsläufig das negative Bild einer zunehmend verstädterten Gesellschaft von der Landwirtschaft. Außerdem ist es ein Grundübel in unserer Gesellschaft, dass viele mitreden über Dinge, von denen sie keine oder nur wenig Ahnung haben.

Der Landkreis Fürstenfeldbruck ist dicht besiedelt und relativ klein. Was bedeutet die Versiegelung für die Landwirtschaft?

Der zunehmende Flächenverbrauch erfüllt mich mit großer Sorge. Sehen wir uns nur die jüngst vorgelegte Struktur- und Potenzialanalyse des Landratsamtes und der Gemeinden an. Die spricht von einem Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr für die nächsten Jahrzehnte. Wir haben jetzt schon mehr als 210 000 Einwohner. Das werden dann laut Prognose in ein paar Jahren 250 000 sein. Daraus resultiert dann ein weiterer und verschärfter Flächenhunger, den im Wesentlichen nur die Landwirtschaft befriedigen kann. Wie die weitere Entwicklung aussehen könnte, erkennt man zum Beispiel an der Ausweisung des Geiselbullacher Gewerbegebietes entlang der B 471, wo 50 Hektar Ackerfläche versiegelt werden. Und das in Sichtweite zum Bergkirchener Gewerbegebiet Gada. Wo bleibt da die übergemeindliche Zusammenarbeit? Als negatives Beispiel für die Entwicklung steht auch Schöngeising, wo eines der ansprechendsten Dörfer im Landkreis am Ortseingang ein Gewerbegebiet ausgewiesen hat. Und wieder verlieren die Bauern Flächen. Ein Dauerthema ist die Hasenheide in Fürstenfeldbruck. Aktuell schmerzt die Erweiterung der Firma Schleifring auf Kosten eines sehr naturnahen Eichen-Lindenwaldes. Natürlich werden die Flächenverluste mit Ersatzflächen ausgeglichen, aber der Ersatzwald braucht 70, 80, Jahre, bis er die gleiche Wirkung entfaltet wie der gerodete.

In Zeiten des voranschreitenden Klimawandels - wie kommt der Umbau zum Mischwald voran?

Schon ganz gut. Am besten kann man das aus dem Flugzeug im Frühjahr beim Laubaustrieb oder während der Herbstfärbung erkennen. Seit den Stürmen Vivian und Wiebke im Winter 1990, für uns alte Forstleute der schlimmste Orkan in unserem Berufsleben, wurde hier Beachtliches von den Waldbesitzern geleistet. Die vormalig eintönigen und katastrophenanfälligen Fichtenreinbestände wurden gemischt mit Buche, Ahorn und Eichen. Damit leisten sie Borkenkäfer oder Stürmen wesentlich mehr Widerstand. Wir nennen das Risikominderung. Allerdings warnen wir davon, sich zufrieden zurückzulehnen, denn der Klimawandel schreitet rasant voran.

Stichwort Eschentriebsterben, Borkenkäfer: Haben die Bürger für die Maßnahmen Verständnis, die vielleicht wissenschaftlich gesehen angebracht sind?

Die Bürger sind meistens auch mit einfach strukturierten Wäldern zufrieden. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Erholungssuchende bereits dann glücklich sind, wenn sie sich einfach nur im Wald bewegen, die Ruhe genießen, die Vögel pfeifen und die ganze Atmosphäre etwas leicht Geheimnisvolles hat.

Aber am Beispiel Emmeringer Hölzl zeigt sich, dass es Widerstand gibt, sobald Bäume gefällt werden oder im Wald liegen.

Das ist aber ein eher städtisches Problem. Die Bürger stören sich daran, wenn mal ein Baum raus kommt. Überalterte Weiden, Pappeln, erkrankte Eschen - die müssen raus wegen der Verkehrssicherungspflicht. Wir versuchen, gemeinsam mit dem Bund Naturschutz und den Gemeinden bei Ortsbegehungen die zunehmend kritischeren Bürger zu informieren. Am Ufer des Amperstausees zum Beispiel regt sich besonders oft der Protest besorgter Bürger. Dabei wachsen im Bestand bereits wieder neue Eschen nach. Der Wald ist ein rollierendes System - alte Bäume verschwinden, junge wachsen ständig nach. Eigentlich ein ganz natürlicher Prozess. Außerdem geht die Sicherheit der Menschen immer noch vor.

Wie ist die personelle Situation im Amt? Ist das Mangelverwaltungswirtschaft?

Nein, so schlimm ist es nicht. Der Personalabbau in den letzten Jahren ist schon dramatisch und er geht weiter - bis 2019 müssen viele Ressorts auf Weisung der Staatsregierung weiter schrumpfen. Aber wir haben es bislang immer geschafft, weil wir auch technisch besser ausgestattet wurden. Revierleiter hatten früher ein Telefon im Büro und ein Auto. Heute haben sie ein Handy, einen witterungsunabhängigen Geländelaptop - und alle GPS-Daten sind schon gespeichert. Die ganze EDV ist besser geworden. Wir haben also den Personalabbau durch technischen Fortschritt kompensiert. Das Gleiche ist in der Landwirtschaft. Der Mehrfachantrag einmal jährlich als Planungsvorausschau - welche Flächen mit welcher Frucht, Mais, Getreide auf soundsoviel Hektar - das ging früher über dicke Anträge, viele Kreuzchen, da war jeder überfordert. Inzwischen macht der Landwirt das online, der muss gar nicht mehr ins Amt reinkommen. Unsere Sachbearbeiter können die Anträge dann auch schneller bearbeiten. Die Zeitersparnis ist enorm.

Damit geht aber auch der Kontakt verloren, man trifft sich nicht mehr.

Ja, da haben Sie recht. Wir beraten nicht mehr so viel. Das hat abgenommen. Früher sind Pflanzenschutzexperten bei Bedarf viel öfter auf die Felder und Wiesen rausgefahren und haben vor Ort beraten. Dafür haben wir heute fast kein Personal mehr. Die Landwirte müssen sich heute das benötigte Wissen über externe Berater und gegen Entgelt besorgen.

Was wünschen Sie ihrem Nachfolger ?

Dass der Personalstand und das Betriebsklima so bleiben. Mit aktuell rund 55 Mitarbeitern können wir unsere Aufgaben noch ordnungsgemäß erfüllen. Hinzu kommen noch laufend fünf bis zehn Auszubildende wie Referendare oder Praktikanten. Im bayerischen Vergleich liegen wir damit etwas unter dem Durchschnitt. Weniger Fluktuation beim Personal wäre wünschenswert. Manche jungen Kräfte wollen halt wieder schnell in die Heimat zurück. Dafür habe ich größtes Verständnis. Für einen effektiven Dienstbetrieb wäre aber eine längere Verweildauer erstrebenswert.

Welche Aufgaben warten von Ende Mai an auf ihren Nachfolger Günter Biermayer?

Im Bereich Forsten bleibt der Klimawandel das ganz große Thema. Der dafür nötige Waldumbau läuft zwar schon ganz gut, dennoch müssen unsere Revierleiter noch mehr jene immer noch große Gruppe der Waldbesitzer erreichen, die sich nicht beraten lassen. Es gibt vermehrt urbane Waldbesitzer, zum Beispiel Erbengemeinschaften aus Hamburg und Berlin, die sich nicht um ihren Wald kümmern. Dieser bleibt dann ungepflegt und ist in besonderem Maße durch Borkenkäfer oder Sturm gefährdet. Nicht selten ist das Waldeigentum eine Art von Hobby zum Brennholzsägen oder dient insbesondere in der Nähe von Ballungsräumen als Renditeobjekt. Es mangelt an Vorsorge. An diese Leute müssen wir rankommen, mit Sammelberatungen, Waldbegängen am Wochenende oder, im Winter, mit unserem freiwilligen Bildungsprogramm Wald. Da werden erste Kenntnisse über den Wald vermittelt. Die Nachfrage dafür steigt laufend.

Welche Rolle spielt die Ernährung?

Bei diesem Thema sind wir besonders gut aufgestellt. Seit 2009 haben wir das Fachzentrum Ernährung/Gemeinschaftsverpflegung im Haus. Sechs Frauen, alles hoch qualifizierte Ernährungswissenschaftlerinnen, sind dort zuständig für die westliche Hälfte von Oberbayern. Sie bieten allen öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die regelmäßig Essen anbieten, ihre Hilfe an, von der Mensa und der Betriebskantine bis zu Kita oder Schule. Unser Hauptaugenmerk gilt dabei nicht der konkreten Beratung vor Ort, wie zum Beispiel der Speiseplan aussehen sollte, sondern wir zeigen den Verantwortlichen Wege und Möglichkeiten auf, wie sie sich das nötige Wissen oder die erforderlichen Kontakte verschaffen können. Wir wirken also als Netzwerker.

Gewinnt die Ernährung mit Blick auf Fettleibigkeit oder Lebensmittelskandale weiter an Bedeutung?

Richtig. Die Staatsregierung hat hier mit der Gründung der Fachzentren die richtige Entscheidung getroffen: Gesunde Ernährung ist heute ein Megathema in unserer Gesellschaft. Dabei weitet sich das Spektrum der Abnehmer immer weiter aus. Daher entwickeln wir Angebote für den Bereich Bewegung für Familie, Kinder von null bis drei Jahre oder Erwachsene ab 55. Tagsüber und abends gibt es Schulungsmöglichkeiten für altersgerechte Ernährung. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass wir so was mal anbieten? Damals war das undenkbar, heute ist es Standard.

© SZ vom 17.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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