Gröbenzell / Landsberied:Zur Ruhe gekommen

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Ob große oder kleine Gemeinde - die Asylbewerber nehmen die neue Heimat an und beginnen, sich mit Unterstützung der Ehrenamtlichen in den Helferkreisen zu integrieren

Von Karl-Wilhelm Götte und Henning Vetter, Gröbenzell / Landsberied

Im Gemeindesaal der Gröbenzeller Zachäuskirche sitzen 20 Flüchtlinge. Familien mit Kindern oder Singles, wie Reyhan aus Somalia. Die allermeisten von ihnen strahlen Zuversicht aus. Das ist erstaunlich, denn ihre Fluchtgeschichten erzählen von ständiger Todesbedrohung. Jedes einzelne Schicksal wühlt die weiteren 30 Besucher im vollbesetzten Saal auf. Lilo Nitz, die Leiterin des Gröbenzeller Arbeitskreises Asyl, hat die Menschen an diesem Abend zum Thema "Heimat verloren - Heimat gefunden" zusammengebracht.

Allen Erzählungen ist eines gemeinsam: Die Dankbarkeit gegenüber den Deutschen, die sie aufgenommen haben. Dankbar sind sie auch dafür, dass sie in Sicherheit sind. "Ich danke Gott, dass ich hier bin", sagt die Somalierin Rayhen, die mit einem roten Kopftuch in der Runde sitzt. Die 20-jährige Frau ist seit acht Monaten in Deutschland und spricht fließend Englisch. Rayhen war fünf Jahre auf der Flucht, nachdem ihr Vater, der als Lehrer arbeitete, von einer dortigen Miliz ermordet worden war. Über Äthiopien, Sudan kam sie durch die Wüste nach Libyen. Die Überfahrt über das Mittelmeer nach Italien dauerte sieben Tage. Seit Ende 2015 ist sie in Deutschland und seit Ostern 2016 in Gröbenzell. Dort ist sie erstmals nach langer Zeit wieder zur Ruhe gekommen. Sehr berührend ist ihr Satz: "Ich kann jetzt schlafen und bin danach noch am Leben." Reyhan will gerne Arzthelferin werden.

In Landsberied kümmern sich (von links) Caroline Müller, Mirjam Hilgers und Michael Acker um Flüchtlingskinder. (Foto: Günther Reger)

Einfach ist es nicht für die geflohenen Menschen zur reden. "Wir lieben es, frei zu leben", sagt der Familienvater Ali aus Syrien, der mit Frau, zwei Töchtern, Schwiegersohn und Enkelkindern jetzt in Gröbenzell lebt. Er kommt aus dem zerbombten Aleppo. Ali ist 63 Jahre alt und ein freundlicher Mensch. Er spricht arabisch und Hasan, ebenfalls aus Syrien, übersetzt. Auch mit 63 Jahren will Ali Deutsch lernen, um eine Arbeit zu finden. Übersetzer Hasan ist 28 Jahre alt und mit seiner Frau Rama, 20, nach Deutschland gekommen. Hasan hat fast alle möglichen Kurse schon absolviert und spricht gut Deutsch. Er möchte möglichst bald ein Masterstudium beginnen. Zusammen mit seiner Frau und dem drei Monate alten Baby Ellen hat die Familie jetzt eine Wohnung in Gröbenzell gefunden. "Ich bin sehr glücklich darüber", sagt Hasan, "aber auch sehr traurig, dass meine Familie noch in Aleppo ist." Über Handy hält er Kontakt zu seiner Mutter. Vier Jahre war Hasan auf der Flucht. Zwei Jahre verbrachte er in der Türkei, um Geld für einen Schlepper zu verdienen.

Der 17-jährige Nico, so heißt er, weil sein Name, wie Lilo Nitz sagt, unaussprechlich ist, strahlt Zuversicht aus. Er kommt aus Myanmar und spricht fließend Englisch. Er geht zur Schule in Eichenau. Der Junge berichtet von Bedrohungen und Verfolgungen von Moslems, wie er einer ist, durch Buddhisten. "Deutschland ist ein schönes Land und vor allem sicher", sagt auch Nico. Seine Schwester Nocu besucht die Realschule. Dejen, 26, aus Eritrea ist zunächst in Libyen gestandet, ehe sein Vater weiteres Geld über Schlepperkanäle nach Libyen schickte. 6000 Dollar hatte er bis dahin schon bezahlt. Die Überfahrt nach Italien kostete 3500 Dollar. Seit sechs Monaten ist Dejen als Flüchtling anerkannt. "Ich bin bereit, alles zu arbeiten", versicherte er noch. Badra, eine junge Frau aus Somalia, sorgte mit ihrer Nachricht für Kopfschütteln in der Versammlung. Ihr Mann wohnt in Ebersberg in einer Männerunterkunft und sie in Gröbenzell in einer Frauenwohnung. "Der Antrag auf Familienzusammenführung läuft seit einem halben Jahr", berichtete Lilo Nitz, "aber noch ohne Ergebnis."

In Gröbenzell lädt der Helferkreis Asylbewerber in den Gemeindesaal der evangelischen Kirche ein. (Foto: Günther Reger)

Der Helferkreis kümmert sich seit einem Jahr um die Flüchtlinge im Ort. Das Engagement und die Hingabe sind enorm, erfordern aber auch viel Zeit. Deshalb wünschen sie sich trotz der positiven Bilanz etwas mehr Beteiligung im Ort.

Im vergleichsweise kleineren Landsberied kümmern sich 35 einwohner um jene 42 Menschen, die derzeit im Container wohnen. Die Flüchtlinge kommen aus acht Nationen, darunter Syrien, Irak, Nigeria, Senegal und Afghanistan. Die Unterkunft steht auf einer ehemaligen Ausgleichsfläche am Rande des Ortes. Im Container gibt es einen Gang, von dem links und rechts befinden Zimmer, Küchen und Bäder abgehen, dahinter geht es zu einem Garten. Die Wohnräume sind jeweils rund zwölf Quadratmeter groß und werden von zwei bis drei Personen bewohnt, zudem gibt es zwei Familienzimmer. Es ist ein enger Raum, auf dem hier gelebt wird.

Am Donnerstag, 6. Oktober, jährt sich nun die Ankunft der ersten Bewohner des Containers. Caroline Müller hat als Helferin einen Wandel im Zusammenleben gespürt. "Am Anfang haben sie sich erst mal direkt separiert, mittlerweile spielen sie Karten zusammen und passen gegenseitig auf ihre Kinder auf. Manchmal gibt es ein paar kleinere Probleme, aber das ist ja auch normal, wenn man auf so engem Raum wohnt."

Vor allem die Kinder sind ein zentrales Thema für den Helferkreis, insgesamt 16 wohnen im Container. Für sie hat man sich viel einfallen lassen. Im Garten wurden eine Rutsche und Schaukel gebaut, zudem ein Spielzimmer eingerichtet. Jeden Nachmittag gibt es Hausaufgabenbetreuung. "Die Kinder sind sehr motiviert und lernen die neue Sprache schnell", freut sich die 48-Jährige.

Auch von der Schule gebe es nur positive Rückmeldung. Besonders stolz ist er auf den zweiwöchigen Intensiv-Schwimmkurs in der Amperoase, den man den Kindern ermöglichen konnte. "Wir haben überlegt, was für ein Angebot wirklich sinnvoll sein könnte und sind dann auf Schwimmen gekommen", erinnert er sich. Insgesamt 1000 Euro hat der Kurs gekostet, finanzieren konnte man ihn mithilfe von Spenden der Caritas, des katholischen Ordinariats und privater Personen.

Allgemein sei die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung sehr hoch, freut sich Caroline Müller. Doch das Engagement der Leute sei noch ausbaufähig. "Natürlich wünschen wir uns mehr Helfer." Denn die Angebote erfordern vor allem Zeit. Die Helfer bieten zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs an, zusätzlich dazu noch einen Alphabetisierungskurs. Wenn die Bewohner des Containers zur Arbeit oder zu Deutschkursen nach Fürstenfeldbruck müssen, werden oft Fahrdienste organisiert. Viele fahren aber auch mit dem Fahrrad oder Bus. Außerdem begleiten die Helfer die Eltern zu den Elternabenden und schreiben mit, um dann alles zu übersetzen. "Das ist ganz schön schwierig. Erklären Sie mal jemandem, was 'Elternbeirat' bedeutet", erzählt Miriam Hilgers und lacht. Die 49-Jährige Sozialpädagogin engagiert sich ebenfalls für die Neuankömmlinge.

Anfangs war die Gewöhnung aneinander nicht ganz einfach, vor allem die Sprachbarriere stellte ein Problem dar, gestehen die Helfer. "Wir können natürlich kein Arabisch und von ihnen nicht jeder Englisch." Manchmal kommen die Erinnerungen an die Flucht wieder hoch, dann hören sie zu und versuchen zu trösten. "Es ist aber auch wichtig, dass sie ihren Rückzugsort haben, wo sie die Tür einfach mal schließen können", zeigt sich Caroline Müller verständnisvoll. Zudem sind Wohnungen für die Familien, deren Asylantrag angenommen wurde, schwer zu finden. "Die Kinder gehen hier zur Schule und haben sich eingelebt. Außerdem wären die Familien eine wirkliche Bereicherung für Landsberied", ist sich Müller sicher.

In der Unterkunft gibt es eine hohe Fluktuation, dennoch wohnen einige seit Anfang an hier. Um zu zeigen, dass sie schon jetzt eine Bereicherung sind, veranstaltete der Helferkreis zusammen mit den Geflüchteten im August ein Sommerpicknick, zu dem auch die Leute aus dem Ort eingeladen waren. Im Container selbst gibt schon echte Landsberieder: bereits zwei Kinder wurden während des Jahres geboren - und drei weitere sind unterwegs.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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