Gewässerqualität:Nasen sollen wieder wandern

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Seit Flüsse und Bäche begradigt und zur Stromerzeugung genutzt werden, haben es viele Fischarten schwer. Nur wenn ihnen geholfen wird, können sie wieder zu ihren Laichgründen schwimmen

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Riesige Schwärme von Nasen sind früher von Wien über die Donau in die Isar und ihre Nebenflüsse gezogen. So viele dieser Fische habe es gegeben, dass man sie mit Netzen herausziehen konnte, erklärt Tobias Ruff von der Fischereiverwaltung des Bezirks Oberbayern. "Da hat's gebrodelt in den Flüssen. Die Nasen waren die Steckerlfische auf der Wiesn." Das wisse man aus Aufzeichnungen aus dieser Zeit. Noch vor etwa hundert Jahren war das so. Dann wurden die meisten Flüsse und Bäche begradigt, Wasserkraftwerke und Wehre entstanden, auch Rampen, die verhindern sollten, dass die schneller fließenden, weil begradigten Gewässer sich zu tief eingraben.

Den Pflanzen und Tieren tat das nicht gut, weshalb die Europäische Union im Jahr 2000 eine Richtlinie zur Verbesserung der Qualität der Flüsse und Bäche erlassen hat, die Wasserrahmenrichtlinie. Bis 2015 sollten alle Gewässer in Deutschland in gutem oder gar sehr gutem Zustand sein. Doch nur etwa sieben Prozent haben diesen ökologisch guten Zustand tatsächlich erreicht. Auch im Landkreis sieht es eher trübe aus: Es gibt kein Fließgewässer in sehr gutem Zustand, die Amper wird von Grafrath an immerhin als gut bewertet, ebenso der Dünzelbach. Der Finster- und der Steinbach haben eine mäßige Qualität. Die Maisach und ihre Nebenflüsse gelten als unbefriedigend, ebenso die Glonn. Und die Bäche im Osten des Landkreises, Starzel-, Gröben-, Holz-, Ascher- und Erlbach, finden sich sogar allesamt in der schlechtesten Kategorie.

Das Kraftwerk an der Amper in Schöngeising ist das älteste Bayerns. Für Fische stellt es ohne Ausweichmöglichkeit ein unüberwindliches Hindernis dar. (Foto: Carmen Voxbrunner)

In regulierten Gewässern können die Nasen nicht mehr wandern, um sich fortzupflanzen. Sie können schlicht die Hindernisse nicht überwinden, die Wehre oder Kraftwerke darstellen. Gleichzeitig bringen die Flüsse aus dem Gebirge kein Geröll mehr mit. Weil dieses Geschiebe ausbleibt, fehlen in den Flussbetten Kiesbänke. Sie bewirken zweierlei: Zum einen verengen sie das Flussbett, so dass die Strömung zunimmt, das Wasser also schneller fließt. Hinter den Kiesbänken entstehen Zonen mit ruhigem Wasser. Auch Altwasser gibt es nur noch selten.

Die Lebewesen im Fluss brauchen aber schnelle und ruhige Abschnitte, nur wenige kommen mit gleichmäßig dahinfließenden, kanalartigen Gewässern zurecht. Die winzigen Larven der Nase, die noch nicht kräftig genug sind, um gegen die Strömung anzuschwimmen, sind etwa auf ruhige Stellen angewiesen. Fehle auch nur ein einziger der Lebensräume, verschwänden die Fische, erklärt Robert Asner, Referent für Gewässer- und Naturschutz beim Landesfischereiverband (LFV). Heute finde man nur noch einzelne Nasen in den Flüssen, und die seien meist sehr alt, sagt Ruff. Mit den Begradigungen habe ein schleichender Prozess des Rückgangs begonnen, es gebe immer weniger Fische, sagt Asner.

Insgesamt, schätzen die Experten, fehlten in den Flüssen und Bächen Bayern etwa 90 Prozent der Fische. Noch schlechter sähe es aus, würden die Fischereivereine nicht immer wieder Fische in die Gewässer einsetzen, um den Arten zu helfen. Darunter sind Bitterlinge und Haseln, die keine Speisefische sind, aber auch Nasen und Nutzfischarten wie die Bachforelle. Nicht allen Arten geht es gleich schlecht, Weißfische wie Hasel und Schneider, die an Wasserpflanzen laichen, können Asner zufolge in den Flüssen noch ganz gut überleben. Das Problem betrifft jedoch auch den Huchen, einen sehr guten Speisefisch, der auch als "Donaulachs" bezeichnet wird. Der Raubfisch frisst von Anfang an andere Fische - vor allem junge Nasen. Bleiben die aus, wird es auch für den Huchen eng. Die Äsche wiederum braucht kalte Gewässer. Die Amper beispielsweise sei aber durch die vielen heißen Sommer schon zu warm für die Äsche geworden, erklärt Ruff. Die gute Nachricht ist: Man kann den Tieren helfen. Was getan werden muss ist klar: Die Flüsse müssen wieder durchgängig werden, etwa durch Fischtreppen, mit unterschiedlichen Strömungsverhältnissen, geeigneten Laichgründen und Abschnitten, in denen junge Fische sich verstecken können.

Um Pläne aufstellen zu können für die Renaturierung wird der gegenwärtige Zustand der Gewässer erfasst und mit dem Zustand verglichen, den man für die Zeit vor etwa 100 Jahren ermittelt hat. Dafür fischt Tobias Ruff, Fischexperte des Bezirks Oberbayern, etwa in der Maisach und der Glonn mit elektrischem Strom. Der schadet den Fischen nicht dauerhaft, man erwischt so aber die meisten Fische in einem Gewässerabschnitt. Nasen fängt er dabei nur ganz selten. Wobei, wie Ruff erklärt, schon einzelne Exemplare dazu führen, dass ein Gewässer als gut bewertet wird, obwohl es weit entfernt ist vom natürlichen Zustand.

Auch die chemische Wasserqualität wird ermittelt. Für die Amper stimme die inzwischen wieder weitgehend, sagt Christian Leeb, der Leiter des für den Landkreis zuständigen Wasserwirtschaftsamts München. Es ist genug Sauerstoff darin und nicht zu viele Phosphate, Stickstoff-Verbindungen und Schwermetalle - mit einer Ausnahme: In praktisch allen europäischen Gewässern finde sich mehr Quecksilber, als natürlicherweise vorkommen würde. Das giftige Schwermetall stamme vor allem aus der Kohleverbrennung.

Leeb zufolge gibt es in der Amper genügend Kleinlebewesen, und auch die Struktur sei gut. Leebs Einschätzung: "Die Amper ist nicht das Sorgenkind." Auch die Maisach sei an sich in einem guten Zustand, doch der Zustand bei den Fischen sei unbefriedigend. Leeb weist auf ein weiteres Problem hin: die Verschlammung. Forellen und Huchen, Äschen und Nasen sind auf kiesigen Grund angewiesen. Nur dort laichen sie und können sich die jungen Fische entwickeln.

Der Schlamm kommt von angrenzenden Feldern in die Gewässer. Wie Leeb erklärt, wird bei starkem Regen häufig Mutterboden abgeschwemmt, wenn der Acker nicht bewachsen ist, weil der Landwirt auf Zwischenfrüchte verzichtet. Immer häufiger fehle zudem ein natürlich bewachsener Uferstreifen, der gar nicht bewirtschaftet werde. Das Wasserwirtschaftsamt kaufe an großen Gewässern Flächen, um das zu verhindern. "Eigentlich müssten auch die Landwirte ein Interesse daran haben, dass ihnen der fruchtbare Boden und damit die Nährstoffe für die Pflanzen nicht in die Gewässer abhaut", sagt Leeb. Doch leider ackerten viele trotzdem bis ans Ufer.

Dieses Problem kann das Wasserwirtschaftsamt nicht lösen. Die Behörde kann aber durchaus einiges tun, um die Flüsse dem natürlichen Zustand wieder anzunähern. Auch in einem begradigten Fluss könne man wieder etwas mehr natürliche Dynamik bewirken, etwa indem man Uferverbauung aus Steinen beseitigt, künstliche Kiesinseln schafft und tote Bäume im Fluss belässt, sagt Leeb. Sie dienen jungen Fischen als Versteck vor Räubern und bieten ruhigere Zonen.

Noch heuer will das Wasserwirtschaftsamt an zwei Stellen die Amper weiter verbessern. Bei Emmering wird Leeb zufolge ein Uferbereich naturnäher gestaltet, indem Steine aus der Uferverbauung herausgenommen werden. In Geiselbullach gibt es an einer Rampe bereits eine Fischtreppe, die es den Tieren ermöglichen soll, stromaufwärts zu wandern. Sie ist Leeb zufolge nicht gut durchgängig und soll durch zusätzliche Steine flacher und strömungsärmer werden, so dass auch kleinere Fische sie hinaufschwimmen können.

Das Wasserwirtschaftsamt und damit der Freistaat ist nur für die größeren Flüsse zuständig. Um die kleinen Bäche müssten sich die Gemeinden kümmern. Die hätten aber weder entsprechende Fachleute in ihren Verwaltungen noch die finanziellen Mittel, um groß etwas zu tun, erklären Asner und Leeb. Deshalb ist gerade der Zustand der kleinen Bäche so schlecht. "Da fehlt oft der Schwung, das Thema hat eine geringe Priorität", bedauert Leeb. Asner sieht mangelnden politischen Willen auch weiter oben. "Die Kleinwasserkraft wird forciert", kritisiert er. "Dabei ist sie schlecht für die Gewässer und liefert nicht so viel Strom."

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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