Geschichte der Indianer:Mit dem Segen des Häuptlings

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Die Free Bavarian Indians beschäftigen sich mit der Lebenswelt nordamerikanischer Ureinwohner. Der Respekt vor der fremden Kultur hat dabei immer Priorität

Von Julia Bergmann

Olching - Cowboys, Clowns oder Prinzessinnen kamen Sabine Voß noch nie in die Tüte. Sie wollte schon immer nur eines sein: Indianerin. Und das am besten nicht nur an Fasching. Denn für Voß geht es beim Indianersein um mehr als nur um die Verkleidung. "Mich fasziniert an den Natives der Umgang untereinander, der Respekt für andere, die Kultur, das Spirituelle und das Leben in und mit der Natur", sagt sie. Schon früh war für die heute 52-Jährige klar, dass sie zumindest einen Teil davon auch in ihrem Alltag leben wollte. Dann, eines Tages vor fast 21 Jahren, erschienen vor ihrem Auge die Worte des Häuptlings "Weißer Bär". Nicht im Traum, sondern ganz profan im Olchinger Gemeindeanzeiger. Für Voß war es trotzdem ein fast schicksalhafter Moment. Endlich konnte sie ihre Leidenschaft ausleben.

Im hauseigenen Tipi verbringen Norbert und Sabine Voß selbst im Winter gerne ihre Freizeit. Immerhin gibt es im Inneren einen Feuerplatz, der das Indianerzelt warm hält. Immer mit von der Partie ist Boxer Niki. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Weißer Bär", der frühere Vorsitzende der "Free Bavarian Indians", hatte über eine Annonce nach neuen "Indianern" für seinen Verein gesucht. Jedes der Mitglieder spielt im Verein eine bestimmte Rolle und verkörpert einen Ureinwohner Nordamerikas in der Zeit vor 1850. Gemeinsam treten sie bei Festen auf, musizieren und zeigen traditionelle Stammestänze. Die Free Bavarian Indians beschäftigen sich mit der Lebenswelt, der facettenreichen Kultur und der Historie der Indianer. Das alles erfuhr Voß aus der Annonce, und genau das war es, was sie wollte. Allerdings kam sie nur unter einer Bedingung in den Verein: "Ich wollte Kriegerin sein. Für mich war klar, ich zieh' kein Kleid an." Als das geregelt war, blieb sie. Heute ist Sabine Voß diejenige, die am längsten in dem Verein dabei ist, dem mittlerweile nur noch acht aktive Mitglieder angehören.

Die Kostüme der Vereinsmitglieder sind handgefertigt. Gleiches gilt auch für das Tipi, die Sitzgelegenheiten und das Kunsthandwerk, das das Ehepaar Voß dort aufbewahrt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Dass Voß ihre Forderung durchsetzen konnte, war keine Selbstverständlichkeit. "Eine Frau als Krieger sieht nicht jeder gern", sagt sie. Auch nicht alle "Natives", wie Voß die Ureinwohner Nordamerikas nennt. Obwohl in vielen Stämmen gelte: "Frauen sind Partner, keine Untergebenen." Obwohl sie das weiß, hat Voß keinerlei Bedenken bezüglich ihrer Rolle als Blackfeet-Kriegerin. Immerhin hat sie das Okay dafür von einem original Blackfeet-Häuptling bekommen. "Ich habe ihm auch mein Kostüm gezeigt", sagt sie und streicht mit der Hand über die aufwendige Glasperlenstickerei am Ärmel ihres Ledergewands. Voß legt ihren Zeigefinger als Referenzgröße neben die Arbeit und erklärt: "Allein in diesem kleinen Stück sind 500 Perlen verarbeitet." Zwei Jahre hat die Anfertigung des Oberteils gedauert, die Vorarbeit nicht mitgerechnet. Was die Mitglieder in ihren Rollen tragen, stellen sie selbst her. Bis auf das Leder. Und selbst das haben die "Free Bavarian Indians" schon versucht. "Aber das Gerben ist extrem aufwendig", sagt Voß. Und das Endprodukt hat die Indianer nicht überzeugt.

Die Adlerfedern am sogenannten Roach, der Kopfbedeckung von Sabine Voß, stehen symbolisch für eine gute Tat. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Jedes Mitglied bestimmt selbst, wie sein Gewand später aussehen soll. Die Farben und Muster werden so gewählt, dass sie zur Persönlichkeit der Mitglieder passen. "Wir kopieren nie eins zu eins Originalteile. Das wäre anmaßend", sagt Voß. Jedes Kostüm der "Free Bavarian Indians" ist ein Unikat. Sabine Voß streift ihr blondes Haar und die Hermelinfransen ihrer Kopfbedeckung nach hinten über ihre Schulter und gibt den Blick frei auf eine Kreisrunde Stickerei auf ihrer Brust, deren Perlen strahlenförmig nach außen verlaufen. Die Deutung von Symbolen ist ein wichtiger Teil der indianischen Kultur. "Wie man das Muster anschaut, ist wichtig", erklärt sie. Auch das habe ihr der Blackfeet-Häuptling erklärt. Lässt man den Blick vom Inneren des Motivs nach außen wandern, erinnert es an Sonnenstrahlen, es steht für Wärme und Offenheit. "Liest" man das Muster anders herum, könne man es als Speerspitzen deuten, die auf das Herz der Kriegerin zeigen. "Das wäre natürlich schlecht", sagt sie. Die Kriegerin würde ihren Wunden Punkt offen legen.

Die Rollen, die die Mitglieder des Vereins verkörpern, können sie sich frei aussuchen, ebenso ihre Namen. Sabine Voß hat sich für "Dreamwave" entschieden. Ihr Interesse für die indianische Traumdeutung waren dafür ausschlaggebend. Ihr Mann, Norbert Voß, heißt "Grey Wolf". Warum? Er lacht und zeigt auf sein graues Haar. Weitere Erklärungen braucht es nicht. Norbert Voß ist der Vorsitzende des Vereins. "Dazu gekommen bin ich wie die Mutter zum Kinde", sagt er. Im Wesentlichen habe seine Frau ihn mit ihrer Begeisterung für die fremde Kultur angesteckt. Allerdings ist er der einzige in der Gruppe, der keinen Indianer darstellt. "Ich bin Trapper", sagt er. Ein Fallensteller, der die Felle gefangener Tiere sowohl an Indianer als auch an Weiße verkaufte. Der 69-Jährige verkörpert damit eine Art Bindeglied zwischen zwei Kulturen. Eine Rolle, die Norbert Voß' Naturell entspricht. "Ich mag das Ausgleichende. Ich war früher Schiedsrichter", sagt er.

Jedes der acht aktiven Mitglieder schlüpft bei den Treffen, etwa alle drei Wochen, in seine Rolle. "Wir üben dann neue Lieder und Tänze", sagt Sabine Voß. Zum Rhythmus der Trommel, dem "Herzschlag der Erde" wird dann getanzt. Gerne sitzen die Vereins-Indianer auch gemütlich beisammen im Voßschen Tipi zwischen Traumfängern, traditionellem Handwerk und Tierfellen. Stehen Auftritte an, bereiten sich die Bavarian Indians während ihrer Vereinstreffen gezielt darauf vor.

Die Tänze, die sie dann einüben, sind immer originale Stammestänze. "Wir zeigen auch nur das, was wir zeigen dürfen", sagt Sabine Voß. Es gibt Rituale, die nur echten Stammesangehörigen vorbehalten sind. Dazu gehören bestimmte Tänze, aber auch das traditionelle Pfeiferauchen. "Das ist etwas Heiliges", erklärt Sabine Voß. Würden sie das im Verein tun, könnte das als Affront gesehen werden. Der fremden Kultur gegenüber respektvoll aufzutreten, ist ihnen wichtig. "Wir stellen die Kultur dar und wollen sie erleben", sagt Norbert Voß. Das sei für die Natives, die sie bisher gefragt haben, in Ordnung. Gleichzeitig ist völlig klar: "Wir sind keine Indianer und wir halten uns auch nicht dafür."

Dass das historische Stammesleben, das der Verein darstellt, nicht mehr allzu viel mit der Lebensrealität von nordamerikanischen Ureinwohnern von heute zu tun hat, ist Sabine und Norbert Voß klar. Davon konnten sie sich auf ihrer Hochzeitsreise durch Nordamerika selbst überzeugen. Was die "Free Bavarian Indians" in ihrem Verein leben, ist eben ein Stück weit Romantik. "Es ist eine Traumwelt, das ist klar", sagt Sabine Voß. Aber warum sollte man sich nicht für ein paar Augenblicke in ihr verlieren können?

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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