Germering:Orientieren in der Unschärfe

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Die Leiterin der Selbsthilfegruppe für Blinde, Hildegard Tonkel (links), mit Elisabeth Chemnitz. (Foto: Reger)

Die Selbsthilfegruppe der Blinden und Sehbehinderten hat Jubiläum

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Hildegard Tonkel aus Germering sieht schlecht und muss sich Hilfsmittel bedienen, um ihr Leben erträglicher zu gestalten. "Nicht nur schlecht, ich sehe ganz schlecht", sagt Tonkel, "und es wird zunehmend schlechter." Da sind der Austausch und das Treffen mit Betroffenen sehr hilfreich. Dafür und für andere Themen hat die Germeringer Insel, die die sozialen Einrichtungen in der Stadt seit vielen Jahren koordiniert, Selbsthilfegruppen eingerichtet. Die Gruppe der Blinden und Sehbehinderten feiert am Sonntag um 10.30 Uhr im Mehrgenerationenhaus (Zenja) in der Planegger Straße ihr 20. Jubiläum. Die Selbsthilfegruppe "Gemeinsam Erleben", die ältere Alleinlebende versammelt, begeht gleichzeitig ihr zehnjähriges Bestehen.

In Deutschland leben etwa 155 000 Blinde und etwa eine halbe Million hochgradig sehbehinderte Menschen. Neben der subjektiven Erfahrung, was Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung bedeutet, gibt es auch Kriterien dafür. Wenn man von Blindheit spricht, meint man eine Sehfähigkeit von zwei Prozent mit Korrekturgläsern. Eine hochgradige Sehbehinderung liegt vor, wenn jemand trotz Brille nur fünf Prozent Sehschärfe besitzt. Hildegard Tonkel ist schon lange bei diesen fünf Prozent angekommen. "Das hat vor 36 Jahren begonnen", erzählt sie. Heute ist sie 64 Jahre alt. 20 Jahre hat sie als Büroangestellte ihre Arbeit mit der Sehbehinderung erledigen können. Vor 14 Jahren, nachdem die Sehschärfe weiter nachgelassen hatte, musste sie ihren Job aufgeben. Tonkel sieht nur noch unscharf, häufig nur Grautöne und die nur mit schwachem Kontrast. "Ohne Begleitung kann ich nicht mehr rausgehen", beschreibt die Frau ihre Lage. Vor vier Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, kam sie zur Selbsthilfegruppe der Blinden und Sehbehinderten. Heute leitet sie zusammen mit Elisabeth Chemnitz die Gruppe. Sie hatte sich in dieser Gemeinschaft gleich sehr wohl gefühlt. "Das gibt einem eine enorme psychologische Unterstützung, wenn man mit Gleichgesinnten zusammen ist", sagt Tonkel. Auch der Erfahrungsaustausch und das Ratschen sind wichtig. Einmal im Monat findet das Treffen statt. Zusammen kommen eine ganz blinde Germeringerin und über ein Dutzend Sehbehinderte. Wenn nötig, werden Vorträge organisiert. Die Gruppe interessiert natürlich immer, welche neuen technischen Hilfsmittel es gibt. "Hören und Sprechen stehen im Mittelpunkt", so Tonkel.

Unterstützt werden Blinde und auch Sehbehinderte durch ein sogenanntes Blindengeld, das die Bundesländer finanzieren. Damit begleichen die Betroffenen Mehrausgaben. Dazu zählen Kosten für Haushaltshilfen, Vorlesen, oder auch Mehrausgaben für Hilfsmittel. Das Blindengeld beträgt je nach Bundesland zwischen 332 und 567 Euro. Aktuell empfangen rund 125 00 Menschen in Deutschland das Blindengeld. Ohne technische Hilfsmittel kommt auch Hildegard Tonkel nicht mehr aus. Zentrales Mittel, um ihr Leben zu organisieren, ist ihr Bildschirmlesegerät. Das vergrößert jede Zeitung, ein Rezept oder einen Kontoauszug.

Hildegard Tonkel ist es wichtig, zu betonen, dass die Selbsthilfegruppe nicht als "trauriger Haufen", wie sie sagt, rüberkommt. "Wir sind immer sehr lustig, wenn wir zusammen sind", erzählt sie und lacht.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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