Germering:Mehr Raum im Verkehr

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Die Raddemonstranten machen Pause auf dem Platz vor der Germeringer Stadthalle. Manche sind schon eine Woche unterwegs. (Foto: Günther Reger)

Hunderte Radler machen auf dem Weg zur IAA-Demonstration Halt in Germering. Sie fordern besseren Klimaschutz und weniger Förderung für Autos

Von Ingrid Hügenell, Germering

Josef und Conny Simon gehören zu den ersten auf dem Platz vor der Germeringer Stadthalle. Das Ehepaar aus Olching, 54 und 50 Jahre alt, will sich an der Radsternfahrt zur Theresienwiese in München beteiligen. Elf Protestzüge nähern sich aus dem Umland der Landeshauptstadt. Anlässlich der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA und der Bundestagswahl wollen die Radfahrer die Verkehrswende voranbringen, wollen, dass immer mehr Menschen vom Auto aufs Rad oder den Öffentlichen Personennahverkehr umsteigen. Es geht um den Schutz des Klimas, darum, weniger Kohlendioxid auszustoßen.

Damit das möglich wird, fordern die Radler mehr Raum für sich im Verkehr. Josef Simon setzt auf Radschnellwege. "Wir brauchen schnelle, direkte Wege, damit die Pendler vom Auto aufs Rad umsteigen können", sagt er. Das Radeln und der Umweltschutz sind ihre Themen, vor zwei Jahren haben die Simons deshalb schon einmal demonstriert, für den erfolgreichen Radentscheid in München, der die Verbesserung der Infrastruktur zum Ziel hatte. Beide arbeiten in München.

"Ich möchte, dass im Straßenverkehr die Autofixiertheit aufhört", erklärt Martin Weiß. Der 51-jährige Münchner besitzt kein Auto, er fährt überall hin mit einem dreirädrigen Liegerad mit windschnittiger, geschlossener Verkleidung, einem Velomobil, sogar zum Campen. "Es macht mir Freude, mich CO₂-frei zu bewegen." Ein halbes Dutzend Velomobilisten sind da, sie müssen viele Fragen beantworten. Der Schutz des Klimas, die Vermeidung von CO₂ ist für die meisten hier der stärkste Antrieb. Man sieht es an den Fähnchen und Plakaten, die an vielen Rädern angebracht sind. "Was ist uns wichtiger - Klima oder Autos?" steht da beispielsweise. Oder: "Ich bin ein Auto weniger."

Langsam füllt sich der Platz vor der Stadthalle. Ein Radler kommt zum Queen-Hit "Bicycle Race" angefahren, viele schmunzeln, als sie das hören. In der Mitte des Platzes steht Hans-Günter Rehbein. Der 61-Jährige ist der örtliche Organisator des ADFC. Seit 30 Jahren fährt er mit dem Rad zu seiner Arbeitsstelle in Karlsfeld und engagiert sich fast ebenso lange für bessere Bedingungen für Radler. "Seit über 20 Jahren bohren wir die Bretter und es tut sich nix", sagt er. Resigniert hat er trotzdem nicht. Auch, dass die Route zur Theresienwiese nach einem Gerichtsbeschluss noch in der Nacht geändert werden musste, entlockt ihm nur ein Achselzucken. Die vorgesehene Strecke über die Autobahn wurde verboten.

So muss der Tross, etwa 750 Radler werden es schließlich sein, von Germering über Freiham, die Nordumgehung Pasing und die Landsberger Straße zur Theresienwiese fahren. Da die Strecke selbst und alle Einmündungen für Autofahrer gesperrt werden müssen, macht das der Polizei eine Menge Arbeit und beeinträchtigt den Verkehr nach Rehbeins Ansicht stärker als die Autobahn-Route.

Mit etwa 200 Leuten kommt nun der Radkorso aus Herrsching in Germering an. Ungefähr 20 Minuten haben die Teilnehmer Pause. Viele ältere Leute sind dabei, einige auf Tandems, manche mit Anhänger. Auch Familien sind dabei und junge Menschen wie Rupert Maltan und Diana Zulawinska, beide 29, die von München nach Weßling gefahren sind, um sich dort der Demo anzuschließen. Es fängt an zu tröpfeln, aber das stört die junge Frau nicht. "Wir sind für alles bereit", ruft sie fröhlich und beißt in ihre mitgebrachte Brotzeit. "Wir genießen es sehr, so viel Platz zum Radeln zu haben", sagt der junge Mann.

Etwa 50 Ordner passen auf, dass die Raddemo ohne Probleme verläuft. Inzwischen sind auch die etwa 500 Teilnehmer aus Richtung Augsburg da. "Es ist absolut friedlich, jeder ist gut aufgelegt", berichtet Adi Stumper vom ADFC Fürstenfeldbruck, der diese Gruppe begleitet hat. Die Radler hätten viel Zuspruch erhalten. "Die Leute stehen an der Straße und winken", berichtet er. Nur ein Autohändler habe ein Schild hochgehalten, auf dem "Idiot" stand. Arne Schäffler, der die Gesamtleitung für den Korso aus Augsburg hat, lobt die "unheimliche Disziplin" der Radler und die Polizei: "Die haben das perfekt gemacht", sagt er. 75 Kilometer lang ist die Strecke von Augsburg, viele fahren nur einen Abschnitt mit. Die Germeringerin Stefanie Pockrandt-Gauderer will es mit ihrer achtjährigen Tochter Amy genau so handhaben. "Wir schauen mal, wie weit wir kommen." Bis München, zur Abschlusskundgebung, sind es noch 16 Kilometer. 20 000 Radler sind laut den Veranstaltern schließlich dort, die Polizei spricht von 10 000.

Unter den Radlern, die am Morgen in Augsburg losgefahren sind, sind zwei Frauen aus Fulda. Nora, 21, ist seit einer Woche mit dem Rad unterwegs, Amata, 55, ist in Rothenburg dazu gestoßen. Beide haben, wie sie sagen, "schon geholfen, die IAA aus Frankfurt zu vertreiben" und wollen jetzt mithelfen, dass die Automobil-Ausstellung auch aus München wieder verschwindet. Sie wollen eine wirkliche Verkehrswende erreichen, so dass auch die Menschen auf dem Land unabhängig vom Auto sein können. "Es gibt zu viel Förderung für das Auto", sagt Nora. Sie wünsche sich grundsätzlich eine andere Wirtschaftsform, die sich eher an den Menschen orientiert als am Kapital.

© SZ vom 13.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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