Germering:Mehr als ein Conferencier

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Auf Barhockern hat Werner Schneyder gesessen, als er mit Liedern Geld für sein Studium verdiente. In Germering sitzt er wieder auf so einem Hocker. (Foto: Günther Reger)

Das Publikum in der Stadthalle Germering beklatscht begeistert das Programm aus Kabaretttexten und Chansons, mit dem sich der 80 Jahre alte Werner Schneyder von der Bühne verabschiedet

Von Andreas Ostermeier, Germering

Der Kabarettist Werner Schneyder ist auf Abschiedstour. "Das war's von mir", lautet der Titel des Best-of-Programms aus Texten und Chansons, mit dem der 80-Jährige gegenwärtig gastiert. Am Freitag ist er in Germering aufgetreten. In einer vollen Stadthalle hielt er Rückschau auf ein Bühnenleben, das die politische und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands kritisch begleitet hat, und das - dem Alter nach zu urteilen - auch von vielen Besuchern verfolgt worden ist. Die beklatschten Schneyder ausgiebig, auch wenn er mal den Faden verlor und im Textbuch nachschauen musste, wie es weitergeht. Zwei Stunden unterhält der "Conferencier", wie er sich in einem Lied selbst nennt, das Publikum, zum Schlussbeifall erheben sich viele Besucher und spendeten im Stehen Applaus. Der klang nicht nur nach Anerkennung für die aktuelle Leistung, sondern auch nach Dank für die vergangenen Jahre und nach Abschied.

Werner Schneyder gehört zum Inventar des deutschen Kabaretts. Seit fünf Jahrzehnten sagt er auf Bühnen seine Meinung, oft überraschend, meist hintersinnig, immer durchdacht. Bekannt wurde er durch die Zusammenarbeit mit Dieter Hildebrandt. Fünf Duo-Programme spielten die beiden in den Siebziger- und Achtzigerjahren und ein weiteres 1985 in Leipzig. Mitte der Neunzigerjahre verabschiedete sich Schneyder von der Kabarettbühne, kehrte aber vor einigen Jahren zurück.

Charakteristisch an dem aus Graz stammenden und in Wien lebenden Künstler ist der österreichische Tonfall. Der bewirkt, dass heftige Kritik und böse Satire ein wenig versöhnlicher daherkommen, aber auch leichter Eingang ins Gehör finden. Österreichisch, nämlich an Karl Kraus erinnernd, ist auch die Kritik an Worthülsen und wirklichkeitsverbrämenden Ausdrücken. Einen Begriff wie das "Minuswachstum" entlarvt er durch dessen unsinniges Gegenteil, das "Plusschrumpfen". Mit Kraus besteht er auch darauf, dass Schaden nicht klug macht. Höchstens reich, wenn man ihn anderswo anrichtet, fügt er, auf die Weltwirtschaft gemünzt, hinzu. Ins Kraus'sche Erbe gehört zudem die Lust an Aphorismen, so über die englischen Politiker, die nun daraufgekommen seien, dass sie reif sind für die Insel. Über Europa sagte Schneyder, es bestehe aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollten, was sie selbst beschlossen haben.

Schneyder liebt Bilder. Die SPD beschreibt er als Insekt, das sich nur im Kreis bewegen kann, seit ihm Schröder den linken Flügel ausgerissen habe. Die Weltwirtschaft nennt er ein Pyramidenspiel. An dessen Ende machen bekanntlich nur wenige Gewinn, weil sie das Geld kassieren, das die anderen, die mitspielen wollen, einzahlen müssen. Und wenn er den Namen von Angela Merkel höre, wisse er, was Machiavelli auf Deutsch heißt.

Gleichberechtigt mit den politik- und gesellschaftskritischen Texten behandelt Schneyder in seinem Programm die von ihm geschriebenen oder bearbeiteten Chansons. Auch in denen setzt er sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinander, doch zumeist sind sie seinem Leben gewidmet, seinen Erinnerungen an Kindheit, Beruf und Liebe. In Germering wurde er von Christoph Pauli am Klavier begleitet. Melancholisch gestimmt blickte Schneyder zurück, quälte sich mit der Frage aller Paare: "Liebst du mich?", oder empfand den Schmerz eines Vaters nach, dessen Tochter das Haus verlässt: "Jetzt ist sie weg". Schon vor Jahren hat Schneyder etliche Lieder des berühmten Chansonsängers Jacques Brel übersetzt. Gesungen wurden diese Lieder von Konstantin Wecker oder Michael Heltau. In Germering trug Schneyder eine Übersetzung von "La Chanson de Jacky" vor. In dem Lied geht es darum, wie ein zu Ruhm und Anerkennung gekommener Sänger auf die mühsamen Anfangsjahre zurückschaut, als er noch gewesen ist, was er wirklich ist, nämlich "nichts als ein Conferencier". Dem muss allerdings widersprochen werden, denn Schneyder hat nicht nur unterhalten, Lieder und Bücher geschrieben, in Komödien mitgespielt, Regie geführt und Boxkämpfe kommentiert, er hat auch die Welt auf eine Weise erklärt, wie es nach seinem Abschied keiner mehr tun wird.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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