Germering:"Jeder Schritt war eine Überraschung für mich"

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Hassan Ali Djan erzählt, dass er sich mit dem Buch auch bei den Menschen bedanken möchte, die ihm in seiner Anfangszeit geholfen haben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Leben des 26-jährigen Hassan Ali Djan ist ein Paradebeispiel für eine gelungene Integration. In seinem Buch wird aber deutlich, dass Engagement alleine nicht genug ist, sondern dass er auch viel Glück hatte

interview Von Florian J. Haamann, Germering

Es ist eine bewegende Geschichte, die der junge Hassan Ali Djan zu erzählen hat. Als Elfjähriger musste er nach dem Tod des Vaters die Verantwortung für die Familie übernehmen, ist 2005 mit 16 Jahren in Deutschland angekommen, mittellos und als Analphabet. Ständig in Angst vor der Abschiebung lebend, hat er schnell Deutsch gelernt, einen Schulabschluss gemacht, eine Lehre abgeschlossen. Heute lebt und arbeitet er in München und hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. In "Afghanistan. München. Ich." (Herder Verlag, 19,99 Euro), hat er seine Ankunft und Erfahrungen als Flüchtling in Deutschland, seinen harten Kampf und das viele Glück, das er auf seinem Weg hatte, festgehalten. An diesem Freitag ist er zu Gast in der Germeringer Stadtbibliothek. Im SZ-Interview spricht er über seinen ersten Kontakt mit der deutschen Kultur, kleine Ziele und die Entscheidung, ein Buch zu schreiben.

SZ: Herr Djan, erinnern Sie sich an ihren ersten Kontakt mit der deutschen Kultur?

Hassan Ali Djan: Das erste Erlebnis, an das ich mich erinnere, war bei einer Dame, die mir später auch Nachhilfe gegeben hat. Aber da war ich schon einige Zeit, vielleicht zwei Jahre, in Deutschland. Bis dahin hatte ich ganz andere Dinge im Kopf, mein Asylverfahren, die Unterkunft, die vielen fremden Menschen. Ich war damals sehr durch den Wind.

Dann haben Sie besagte Frau getroffen.

Ja, bei ihr habe ich das erste Mal gesehen, wie ein deutschen Wohnzimmer aussieht. Und angefangen, die Dinge wahrzunehmen, darüber nachzudenken, zu erkennen, was für die Leute wichtig ist.

Wie sah denn dieses typische deutsche Wohnzimmer aus.

Das konnte ich damals nicht unterscheiden, weil ich in Afghanistan in einem kleinen Dorf gelebt habe, ich hatte ja keinen Vergleich. Aber was mich erstaunt hat war, dass drei Wände des Wohnzimmers mit Bücherregalen vollgestellt waren. Ich habe die Frau damals gefragt, ob sie hier Bücher verkauft und sie hat mir erklärt, dass sie die alle gelesen hat, das konnte ich gar nicht glauben.

Haben Sie dann angefangen, selbst Bücher zu lesen?

Nein, damals konnte ich noch gar nicht lesen. Aber sie hat versucht, mir zu erklären, dass man dadurch viel lernen kann und das habe ich dann später auch verstanden. Irgendwann hat sie mir ein Buch geschenkt, Onkel Toms Hütte, und gesagt, wenn du das liest, wirst du dich langsam daran gewöhnen. Es ist ein spannendes Buch. Ich habe erst einmal ein oder zwei Seiten gelesen, war aber sehr müde und habe die Hälfte nicht verstanden, also ist auch die Spannung nicht bei mir angekommen. Aber ich habe das Buch behalten und später ganz gelesen. Danach habe ich geglaubt, dass die Frau all ihre Bücher gelesen hat, es war wirklich sehr spannend und interessant. Ich muss aber zugeben, dass ich bis heute nicht so viel lese, aber immer wieder mal eine halbe Stunde vor dem Schlafen oder auf Reisen.

Einer Ihrer vielen Jobs hat sie als Instrumentträger zu den Münchner Symphonikern gebracht.

Eine Bekannte hat mich gefragt, ob ich klassische Musik mag. Ich habe geantwortet ja, aber ich habe keinen Zugang dazu. Ihre Mutter hat bei den Symphonikern gespielt und so hat sie mir eine Karte besorgt. Nach dem Konzert hat die Mutter gefragt, ob ich nicht helfen will, sie suchen jemanden. Ich hatte erst Bedenken, weil die Instrumente ja sehr wertvoll sind, aber ich habe es ausprobiert. Und so hatte ich die Möglichkeit, mal vor der Bühne, mal hinter der Bühne diese Musik zu hören. Das war für mich sehr wichtig.

Wie haben Sie diese Welt der klassischen Musik denn erlebt?

Es war vollkommen neu für mich. Ich habe mich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und die Töne auf mich wirken lassen. Seitdem hat klassische Musik einen Platz in meinem Leben. Ich kann mir zwar nicht merken, wie die Stücke heißen, aber mir gefällt einfach vieles, was ich höre.

Wann sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Geschichte in einem Buch festzuhalten?

Bereits während meiner Schulzeit habe ich schon beim Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gearbeitet und bei Veranstaltungen viele Leute kennengelernt, auch einige Politiker. Dort ist mir oft aufgefallen, dass viel über die Flüchtlinge, aber nicht mit ihnen geredet wird. Später habe ich in Schulen meine Geschichte erzählt und Rückmeldungen bekommen, dass viele Schüler meine Botschaft - ich bin hier angekommen, alleine und ohne Bildung, wenn ich es geschafft habe, dann schafft ihr das mit links - sehr gut aufgenommen haben. Nach einem Zeitungsartikel wurde ich angesprochen, jemand wollte über mich schreiben, aber ich wollte das nicht, ich habe mich zu jung gefühlt und geglaubt, dass ich nichts zu sagen habe.

Wie kam es dazu, dass Sie sich dann anders entschieden haben?

Im Nachhinein habe ich mir das durch den Kopf gehen lassen und mir gesagt, vielleicht gibt es da doch etwas, was ich machen kann. Viele Menschen haben mir in meiner Anfangsphase geholfen und ich wollte ihnen in Schriftform etwas zurückgeben. Und dann wollte ich die Situation aus Sicht eines Betroffenen erzählen, ohne alles über einen Kamm zu scheren.

Haben Sie an irgendeinem Punkt auch nur davon geträumt, dass es einmal so gut laufen könnte in Deutschland?

Die Ziele, die ich mir gesetzt habe, waren nie so weit. Ich wollte keine großen Schritte machen. Der erste Schritt war es, die Sprache zu lernen, mich verständigen zu können und vielleicht zu arbeiten. Als ich gesehen habe, dass ich nicht arbeiten darf, habe ich weitergemacht. Erst den Hauptschulabschluss, dann haben mich die Leute motiviert, noch ein Jahr dranzuhängen. Danach hieß es, ich kann jetzt eine Ausbildung anfangen. Also habe ich das auch gemacht. Jeder Schritt war eine Überraschung für mich. Es war natürlich eine Menge Aufwand, aber es hat sich gelohnt. Ich glaube, dass nichts von dem, was ich bisher gemacht habe, falsch war. Ich denke auch, dass ich gut in Deutschland integriert bin - und hoffe, das andere das auch so empfinden.

Lesung mit Hassan Ali Djan in der Stadtbibliothek Germering, am Freitag, 9. Oktober, von 19.30 Uhr an. Der Eintritt kostet sieben, ermäßigt fünf Euro.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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