Germering:In Handarbeit

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Am 20. Januar vor zehn Jahren sprengt ein 88-Jähriger in Germeringer sein Haus. Seine 84 Jahre alte Frau und er kommen bei der Explosion ums Leben. Bei dem Großeinsatz suchen die Rettungskräfte in der Winterkälte mit hohem körperlichen Einsatz nach den Verschütteten

Von Erich C. Setzwein, Germering

Es ist eine Winternacht, in der man das Haus nicht verlassen möchte. Doch nach einem gewaltigen Knall in Unterpfaffenhofen reißt der Alarm die Feuerwehrleute kurz nach halb ein Uhr an diesem 20. Januar aus den Betten. Sie machen sich in ihren Einsatzfahrzeugen auf zur Frühlingstraße 106. Bald sind es nicht nur die Freiwilligen aus Unterpfaffenhofen und Germering, auch die Kameraden anderer Wehren dringen in die an sich ruhige Wohngegend entlang der Bahnlinie ein. Nach und nach werden es bis zu 400 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz, der Polizei und weiteren Organisationen sein, die an den Einsatzort, ja an einen Tatort kommen. Kurz nach Mitternacht des 20. Januar 2011 hat der 88 Jahre alte Bewohner seine 84 Jahre alte Frau mit einer selbst herbeigeführten Gasexplosion getötet und auch seinem Leben ein Ende gesetzt. "Es war Mord" titelt die Münchner Abendzeitung ihren Bericht über die Ermittlungen.

Nichts erinnert heute mehr an das schwarze Loch, das sich auftat, als die Einsatzkräfte in reiner Handarbeit die Trümmer des Hauses abgetragen hatten. Ein schickes Mehrfamilienhaus steht heute auf dem Grundstück. Dort hatte in den Fünfzigerjahren ein Maurer für seine Familie eines jener für die Zeit typischen Häuser gebaut. Die Tochter erbt das Haus und lebt dort 60 Jahre lang mit ihrem Mann, bis der, nach vielen Jahren Auseinandersetzungen mit seiner Ehepartnerin des Lebens überdrüssig, sich selbst und seine Frau umbringt. Doch davon wissen Nachbarn und Bekannte des Ehepaares noch nichts, als sie ihre ersten Eindrücke den Reportern an der Einsatzstelle schildern. Sie zeigen eher auf die Schäden, die die Explosion angerichtet hat. Trümmer sind weit durch die Luft geflogen, sind in Jalousien eingeschlagen und haben Dachziegel und Fensterglas zerbrochen. Die Anwohner, die sich zeigen und offen reden wollen, machen einen tief betroffenen Eindruck.

Erst nur mit den Händen, dann auch mit schwerem Gerät wird am 20. Januar 2011 das durch eine Explosion zerstörte Haus an der Frühlingstraße 106 in Germering von Einsatzkräften abgetragen. Stundenlang suchen sie das vermisste Ehepaar, ehe sie die sterblichen Überreste der Frau und dann die des Mannes finden. (Foto: Günther Reger)

Schon bald, nachdem die ersten Feuerwehreinheiten den Brand gelöscht haben, beginnt eine aufwendige Suche nach den beiden Bewohnern. Es ist eine Vermisstensuche bis zum Schluss. Das Wohnhaus ist in sich zusammengesunken, alles liegt aufeinander. Die Druckwelle hat die Wände der Garage, in der ein Wagen des Ehepaares steht, auseinandergedrückt, so dass der Dachstuhl auf dem Auto liegt. Suchhunde laufen über zerborstene Ziegel, Autozubehör und Farbdosen. Nebenan tragen die Helfer Schicht um Schicht des Wohnhauses ab. Um die Vermissten nicht zu gefährden, wird der Schutt mit den Händen abgetragen. Mitglieder des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehr wechseln sich ab, den Brandschutt in kleine Wannen zu füllen und in einer Kette weiterzugeben bis zu den Kripobeamten, die einen Blick darauf werfen. Jeder Hinweis auf die Ursache ist wichtig. Auf dem nahen Volksfestplatz gehen die Ermittlungen weiter. Dorthin liefern die Lastwagen die Reste des Hauses.

Die sterblichen Überreste der 84-Jährigen werden am Morgen gefunden, als die Rettungskräfte Dach und Obergeschoss abgetragen haben und im "Erdgeschoss" angelangt sind. Die Trümmer sind in den Keller gestürzt. Feuerwehrleute berichten von Benzingeruch. Es sind erste Hinweise auf die mögliche Ursache. Stunden später, als Wanne um Wanne mit schwarzem Schutt weitergereicht worden ist, finden die Retter den 88 Jahren alten Verursacher der Explosion. Zuvor haben sie drei Propangasflaschen ausgegraben. Der Einsatz verlangt allen Beteiligten viel ab. Die körperliche Arbeit, ein ganzes Haus in der Winterkälte mit dem Händen abzutragen, dauert jedoch keine zwölf Stunden. In dieser Zeit werden die eingesetzten Helfer immer wieder ausgetauscht, im Hintergrund läuft eine vielfach geübte Organisation nahezu perfekt ab. Es wird auch für das Technische Hilfswerk im Landkreis zum bis dahin größten Einsatz. Das THW wird als Rettungsorganisation des Bundes danach stärker wahrgenommen werden. Und es zeigt sich auch, wie leistungsfähig die Rettungsorganisationen im Landkreis sind. Ob das nun die Feuerwehrleute bei der Brandbekämpfung sind, die vielen THW-Mitgliedern in ihren blauen Uniformen in der Eimerkette oder die Versorger von Feuerwehr und BRK, die heißen Tee und Essen zubereiten - das System funktioniert. Wenig später in diesem Jahr 2011 werden viele Kräfte schon wieder bei einem Großeinsatz gefordert sein, als in Puchheim eine Lagerhalle niederbrennt.

Drei Monate lang ermitteln Kripo und Gutachter des bayerischen Landeskriminalamtes den Fall aus der Germeringer Frühlingstraße. Dann steht fest, dass es wohl Mord gewesen ist, doch der mutmaßliche Mörder nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Auswertung der Spuren ergibt, dass der 88-jährige Hausbesitzer in der Nacht auf den 20. Januar in den Keller ging, dort einen Benzinkanister ausleerte und eine der drei Propangasflaschen aufdrehte. Dann zündete er das explosive Gemisch. Das Motiv wird auch bald klar: Das Ehepaar war wohl heillos zerstritten, von den vielen Ehejahren lebte es angeblich die letzten 20 Jahre getrennt im eigenen Haus.

Der Brandschutt wird nach Abschluss der Ermittlungen zurück aufs Grundstück gebracht. Es gehört mittlerweile den Erben. Mitte Juni des Jahres 2011 beginnen die Aufräumarbeiten. Die Überreste des Hauses werden abgefahren, das Grundstück für einen Neubeginn hergerichtet. Inzwischen ist die Baulücke in der Frühlingstraße geschlossen worden, und es leben mehr Menschen dort als zuvor.

© SZ vom 20.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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